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Brechts Krücken

Mittwoch, 29. August 2007 22:01

Eine Freundin teilte heute dieses schöne Gedicht mit mir, und ich finde es schön und denkwürdig genug, es hier hervorzuheben:

Die Krücken (Bertolt Brecht)

Sieben Jahre wollt kein Schritt mir glücken.

Als ich zu dem großen Arzte kam

Fragte er: Wozu die Krücken?

Und ich sagte: Ich bin lahm.

Sagte er: Das ist kein Wunder.

Sei so freundlich zu probieren!

Was dich lähmt, ist dieser Plunder.

Geh, fall, kriech auf allen vieren!

Lachend wie ein Ungeheuer

Nahm er mir die schönen Krücken

Brach sie durch auf meinem Rücken

Warf sie lachend in das Feuer.

Nun, ich bin kuriert: ich gehe.

Mich kurierte ein Gelächter.

Nur zuweilen, wenn ich Hölzer sehe

Gehe ich für Stunden etwas schlechter.

Mir persönlich macht es schon ein bisschen Angst, wenn ich versuche das Gedicht auf das „richtige Leben“ zu übertragen, mich mir selbst gedanklich auszumalen ohne die Krücken und Stützen, derer ich mich gewöhnlich bediene, die aber natürlich auch Einschränkungen sind. Ich glaube da kommt sehr gut das Gefühl des Gedichts bei mir an :-) Ob ein Gelächter wirklich so befreiend sein kann, diesen Bann zu brechen? Vielleicht muss es wirklich das Lachen eines Ungeheuers sein…

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Schöne deutsche Sprache

Samstag, 23. Juni 2007 0:17

Ich höre und lese immer mit Vergnügen, wenn in anderen Sprachen deutsche Wörter auftauchen. Irgendwie finde ich das ein Symbol für eine spannende philosophische Vergangenheit, und gleichzeitig Quelle für interessante interkulturelle Überlegungen. Was sagt es über die kulturelle Bedingtheit von menschlichen Erfahrungen, dass bestimmte Menschengruppen offensichtlich lange Zeit ohne Begriffe auskamen, die uns selbstverständlich sind? Und dass sie sie dann irgendwie und irgendwann doch nützlich fanden?

Konkret tauchte jetzt im Anfang des Technologie-Newsletters der NYTimes, geschrieben vom berühmten David Pogue, ein Wort auf, worauf ich nicht so stolz bin:

Readers seem to love it when they hear about tech “experts” like me getting trapped in technical hell. Seems to be a form of schadenfreude, that delicious German word meaning, “taking pleasure in other people’s misfortune.”

In any case, here’s a great one for all you schadenfreudians.

Finding a Hassle-Free Way to Send Files

Wie komisch dieses Konzept eigentlich ist macht mir erst die englische Definition klar, es hilft doch oft, die Dinge aus der Ferne zu betrachten:

pleasure derived by someone from another person’s misfortune.

ORIGIN German, from Schaden ‘harm’ + Freude ‘joy.’
(aus dem schönen „Oxford American Dictionaries“, das mein Mac kostenlos dabei hat… ;-) )

Hm. Was bleibt da noch zu sagen?

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Statistiken visualisieren – Mythen über die Dritte Welt

Freitag, 4. Mai 2007 11:27

In Youtube bin ich auf ein Video von der TED gestoßen, das in doppelter Hinsicht interessant ist: Erstens inhaltlich, es werden Mythen über die Dritte Welt untersucht.

Und zweitens wegen der Präsentation, die technisch brillant ist, mit einem Programm zur Visualisierung von Statistiken, das mir gelinde gesagt revolutionär vorkommt. Hier ist ein Vorgeschmack (Wobei das Ding definitiv von der Bewegung lebt):

Visualisierung

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Graswurzel-Journalismus

Dienstag, 20. März 2007 15:57

Mit Assignment Zero entsteht gerade ein Projekt, das den Journalismus endgültig aus der Hand weniger Experten in die Masse entlassen soll.

Der Gedanke ist bestechend: Es werden Informationen zusammengetragen, die jeder aus erster Hand hat. Jeder ist Experte für irgendwas. Allerdings entsteht auch dort sofort das Wikipedia-Problem: Wer kontrolliert, wer gewichtet, wer bewertet? Alles zentrale Aufgaben eines „echten“ Journalisten.

Bin trotzdem gespannt:

Journalism has always been a product of networks. A reporter receives an assignment, begins calling „sources“ — people he or she knows or can find. More calls follow and, with luck and a deadline looming, the reporter will gain enough mastery of the topic to sit down at a keyboard and tell the world a story.

A new experiment wants to broaden the network to include readers and their sources. Assignment Zero (zero.newassignment.net/), a collaboration between Wired magazine and NewAssignment.Net, the experimental journalism site established by Jay Rosen, a professor of journalism at New York University, intends to use not only the wisdom of the crowd, but their combined reporting efforts — an approach that has come to be called „crowdsourcing.“

Can large groups of widely scattered people, working together voluntarily on the net, report on something happening in their world right now, and by dividing the work wisely tell the story more completely, while hitting high standards in truth, accuracy and free expression?“ Professor Rosen asked last week on Wired.com.

All the World’s a Story — New York Times

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Unternehmen in der Verantwortung

Dienstag, 20. März 2007 15:39

Unser Bundespräsident mahnt die Unternehmen zu mehr gesellschaftlicher Verantwortung, dasselbe tut die Bundeskanzlerin. Durchaus in schönen Worten, hier zum Beispiel Köhler:

„Es reicht nicht mehr, sich nur um die Arbeitnehmer zu kümmern und ab dem Werkstor ist es wurscht“, sagte Bundespräsident Horst Köhler dem Magazin Focus.

Köhler wies die Firmen auf eine Fülle von Möglichkeiten hin, sich zu beteiligen, wie die Ausstattung von Schulen mit Computern oder die Renovierung von Klassenräumen.

Nur gesunde Unternehmen können sich sozial engagieren“, sagte der Bundespräsident, der auf seiner Lateinamerika-Reise zahlreiche sozial engagierte Unternehmer getroffen hatte. „Aber nur Unternehmen, die sich sozial engagieren, bleiben auf Dauer auch erfolgreich.“

Appell des Bundespräsidenten Köhler mahnt deutsche Wirtschaft zu mehr Verantwortung — Deutschland — sueddeutsche.de (Hervorhebung von mir)

Erstens wäre es schon mal nett, wenn sich um Arbeitnehmer gekümmert würde.

Zweitens hat Köhlers Aussage einen ganz zentralen Haken. Die hervorgehobene Behauptung ist nämlich erst mal das: eine Behauptung. Warum es sich für die Unternehmen lohnen soll, sich zu engageiren, leuchtet mir nicht ein.

Wobei ich an der Stelle betonen möchte, dass es sich natürlich lohnt, als sozial engagiert in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Allerdings ist echtes Engagement dafür meiner Meinung nach so ungefähr der schlechteste Weg. Und die immens wachsenden Ausgaben für PR legen nahe, dass das nicht nur ich so sehe.

Irgendwie hat das Thema einen Bezug zur Evolutionstheorie. Wie soll in einem „grausamen“ System, in dem jeder für sich selbst sorgen, jeder individuell vorankommen muss (sei das nun das Verbreiten der Gene oder erhöhen des Gewinns) sich selbstloses Verhalten entwickeln?

In der „natürlichen“ Evolution scheint das vielleicht doch möglich zu sein, wie ich heute bereits geschrieben habe. Dann wollen wir für die Ökonomie mal das Beste hoffen.

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Sprachpsychologie – Wie Wörter sich anfühlen

Dienstag, 20. März 2007 15:15

Sprache transportiert nicht nur rationale Inhalte, sondern auch emotionale. Soweit ist das selbstverständlich. Spannend ist, dass tatsächlich bestimmte Wörter kulturell geteilt mit bestimmten Gefühlen verbunden sind. Und dass die Kommunikation dadurch ganz subtil eine bestimmte Färbung bekommt.

Wie oft denkt man schon darüber nach, was im Wort „Manager“ mitklingt? Ich gestehe, bei mir persönlich ist das Gefühl in diesem Fall auch nicht so toll.

Und wie so oft wird der Blick für diese Phänomene erst im Kontrast zu anderen Kulturen möglich. Hier ist spannende Forschung zu dem Thema, aus der Süddeutschen:

„Der Manager fühlt sich in Deutschland an wie ein Metzger: ziemlich dynamisch, ziemlich mächtig und ziemlich negativ.“ Das ist kein Satz eines Verächters marktwirtschaftlicher Unternehmensstrukturen oder eines geplagten Angestellten. Er ist das stichfeste Ergebnis einer Studie zum Gefühlsgehalt von Wörtern, die am Psychologischen Institut der Humboldt-Universität in Berlin entsteht.

Bestimmte Wörter können in unterschiedlichen Sprachgemeinschaften jedoch deutlich andere Gefühle auslösen: In den Vereinigten Staaten evozieren Wörter aus dem sexuellem Kontext starke Emotionen: Sie fühlen sich an wie Zorn oder Gewalt, während ein Deutscher recht emotionslos auf das Wort „homosexuell“ reagiert.

Der Manager dagegen wird in den USA eher wie ein Richter empfunden: Mächtig, aber beruhigend –dort folgt man gerne seinen Anweisungen. Das ergaben Studien David Heises von der Indiana University, der bereits eine Art Wörter-Gefühlslexikon für die USA erstellt hat.

Kulturen unterscheiden sich auch darin, wie sie zur Macht stehen“, sagt Schröder. US-Amerikaner zum Beispiel haben, anders als Deutsche, dem emotionalen Gehalt zufolge, den sie Managern, Richtern, Präsidenten oder Gott zuweisen, ein eher positives Verhältnis zur Machtfülle. Zwar können mit dieser Methode zum Messen des Gefühlsgehalts keine Erkenntnisse darüber gewonnen werden, weshalb Wörter in verschiedenen Kulturen unterschiedlich besetzt sind.

Aber sie liefert zum Beispiel eine Möglichkeit, die These des Kriminologen Christian Pfeiffer zu überprüfen, nach der Deutsche, die in der DDR aufwuchsen, autoritätshöriger seien als ihre Brüder und Schwestern aus dem Westen und es daher unter ihnen mehr Rechtsextreme gebe. „Wenn ein Mensch Wörter, die mit Macht verbunden werden, als angenehm empfindet“, sagt der Psychologe, „so ist davon auszugehen, dass er ein positives Verhältnis zu Autorität hat.“

Sprachpsychologie Schlächter Beigeschmack — Kultur — sueddeutsche.de

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Macht der Bilder

Samstag, 3. März 2007 0:33

Bekanntermaßen bin ich Freund einer moderat konstruktivistischen Weltsicht. Diese Konstruktion läuft heute sicherlich viel über Bilder. So richtig klar wurde mir das, als ich auf jetzt.de in einem Beitrag über arabische Blogger folgendes Bild gefunden habe.

Die Frage ist ja berechtigt: Wie stellt man sich das vor, wenn einer von diesen komischen Wüstennomaden einen Computer bedient? Gibt es spezielle Laptoptaschen für den Transport auf Kamelen? Oasen mit WLAN?

Gut, ich bin ein bisschen sarkastisch. Aber schaut euch das an (Immerhin ein schicker Apple…):

Der bessere Nahe Osten: Arabische Blogger als Hoffnungsträger der Demokratie?

Arabischer Blogger

jetzt.de — Der bessere Nahe Osten: Arabische Blogger als Hoffnungsträger der Demokratie?

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Wie schön, dass es noch Intellektuelle gibt

Dienstag, 27. Februar 2007 1:23

Hier ein cooler Franzose, der ein Buch darüber geschrieben hat, dass man Bücher nicht lesen muss, und damit eine Lanze für ein kulturell aktives Leben bricht. Ein unglaublich lustiger Typ. Und nebenbei erfährt man natürlich, was der richtige Zugang zum Lesen eines Buches ist.

Ein weiterer Aspekt, der mich schon lange fasziniert: Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse prägt heute noch entscheidend, mit welchem Gefühl man bestimmten Bereichen des Lebens begegnet, und wie souverän man sich dort bewegt. So gibt es in Frankreich den Intellektuellen, der per definition, ab Geburt, kultiviert ist. Entsprechend lässig kann er mit Kultur umgehen — und aus dieser Souveränität heraus ist sein Zugang natürlich so, dass er wirklich kulturelle Kompetenz erwirbt. Eine positive selbsterfüllende Prophezeihung also. Schade nur, dass so viele Menschen davon ausgeschlossen bleiben.

Ähnlich scheint es sich auch in Deutschland mit upper-class Umgangsformen zu verhalten. Mit denen aufgewachsen zu sein und zu wissen, wann man sie auch brechen darf, ist die Kompetenz, von der Aufsteiger immer wieder ausgestochen und entlarvt werden.

Aber hier endlich zu den schönen Ausschnitten eines Interviews mit besagtem französischen Intellektuellen:

[…]

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Verstand und Grund

Sonntag, 25. Februar 2007 4:21

Weiter geht es mit der philosophischen Serie: Im letzten Eintrag schloss ich mit der Frage, woher die Ziele kommen sollen, an denen wir unser Leben ausrichten können.

Um sie zu beantworten ist ein kleiner Einschub vonnöten: Verstand und Grund

Grundsätzlich stehen uns auf der Suche nach Antworten verschiedene Werkzeuge zur Verfügung. Das erste, und des Philosophen Liebstes (ganz zu schweigen von mir), ist die geschärfte Ratio. In diesem Zusammenhang erscheint mir eine Eigenart des Verstandes besonders bemerkenswert: Er ist ein Informationsverarbeiter im engeren Sinn, d.h. er macht aus einer Eingabe eine Ausgabe.

Konkret bedeutet das meistens: Aus bestimmten Annahmen über den Zustand und die Funktionsweise der Welt, verbunden mit der Vorstellung eines wünschenswerten Zustandes, entwirft der Verstand einen Weg zum gewünschten Ergebnis. ((An dieser Stelle muss ich vielleicht noch einschieben: Im Alltag beschäftigt sich der Verstand oft gar nicht damit, Wege irgendwo hin zu entwerfen, sondern er zeichnet bereits eingetretene Ereignisse nach, im berühmten Verstehen. Entscheidend ist: Auch hier wird offensichtlich mit etwas gegebenem gearbeitet. Außerdem dient diese Art zu denken meiner Meinung nach genau dazu, später einen genügenden Vorrat an plausiblen Annahmen über die Funktionsweise der Welt zur Verfügung zu haben.)) Das kann, muss aber nicht und tut meistens nicht, mit formallogischen Mitteln geschehen. Wird der Verstand auf philosophische Fragestellungen angewendet, abstraktere Themen, nähert sich die Vorgehensweise automatisch, auch ohne entsprechende Schulung, der formalen Logik an, die verwendeten Prämissen werden klarer.

Jetzt sei der Freude halber die Gelegenheit genützt, eine weitere Eigenart des Verstandes zu demonstrieren, auch wenn man unter Berufung auf den Augenschein schneller zum Ziel käme: Durch sein abstraktes Arbeiten kann der Verstand recht problemlos sich selbst zum Gegenstand nehmen. Nimmt man die eben erarbeitete allgemeine Funktionsweise des Verstandes (ableitend) als Basis ergibt sich logisch, dass der Verstand prinzipiell, strukturell ungeeignet ist, die letzte Basis, das letzte Wozu zu beschaffen. Müsste er doch dazu genau: Aus Nichts Etwas erzeugen, und greift ins Leere.

Bezugnehmend auf den letzten Eintrag zum Thema stehen wir jetzt aber buchstäblich mit leeren Händen da: Der Glaube an irgendwelche Offenbarungen ist rational zerlegt, anschließend demonstriert die Ratio ihre eigene Ohnmacht. Wohin nun?!

Zuallererst ins Bett, auf dass ich noch etwas Schlaf erheische, bevor die Sonne aufgeht… :-)

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Die Wozu-Kette

Sonntag, 25. Februar 2007 0:36

Nach einigen Computerfernen Tagen mit guten Büchern (dazu später mehr), Gesprächen (es ist so schön zu Hause zu sein) und Zeit zum Nachdenken beginnt hiermit eine kleine Serie zu einem großen Thema.

Als Mensch, der dazu neigt die Dinge vom Anfang zu ihren Konsequenzen zu denken bin ich über die Verunsicherung, was meine berufliche Zukunft angeht, zu immer tieferer Verunsicherung vorgedrungen, an deren Ende die Frage steht: Wozu will ich leben?!

Es ist nicht viel Phantasie nötig, um sich auszumalen, dass damit der komplette Themenkreis religiöser Gedanken aufgewirbelt ist.

Als ersten Schritt also wie im Titel angekündigt, Gedanken zur „Wozu-Kette“:

[…]

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