Beiträge vom Dezember, 2007

Lohnkampf der Tomatenpflücker

Donnerstag, 27. Dezember 2007 17:04

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich im Rahmen von Action 5 mit Handelsbeziehungen der globalisierten Wirtschaft, dort am Beispiel der Textilindustrie.

Angriffspunkt für unsere Aktionen dazu in Freiburg sind Verbraucher und der lokale Einzelhandel. Die Hoffnung ist, dass eine veränderte Nachfrage dieser beiden Gruppen die Zustände in der Herstellung verbessern kann.

Ein aktueller Artikel aus der NYTimes ist deshalb in doppelter Hinsicht interessant: Er beschreibt den Verlauf einer ähnlichen Aktion im ganz großen Stil: Aktionen eines breiten Bündnisses gegen bzw. mit McDonalds, Burger King etc., um bessere Arbeitsbedingungen für Tomatenpflücker zu erreichen.

Darüber hinaus liest sich der Artikel als wundervoller Überblick der verschiedenen Positionen zu liberalen oder regulierten Arbeitsmärkten. Ich zitiere einige interessante Passagen, gewürzt mit meinen Gedanken:

[…]

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Nur der schlechte Markt ist ein guter Markt

Mittwoch, 26. Dezember 2007 23:08

So, die Marktkritik geht weiter. Insgesamt brüte ich da gerade etwas aus, wie erwähnt steht ein Zwischenfazit meiner Kritikpunkte an Kapitalismus und freier Marktwirtschaft an.

Einstweilen aber nochmal ein Essay, das ich auch im Zunehmenden Grenznutzen posten möchte, nach Rücksprache mit Johannes, deshalb etwas verzögert. Möglicherweise wird die Version dort dann noch verbessert sein :-)

Hier aber schon (exklusiver Vorabdruck gewissermaßen) mein abendliches Werk:

Nur der schlechte Markt ist ein guter Markt

Unsere Zeit stellt uns vor eine Reihe von schwierigen Herausforderungen, angefangen von sozialer Ungerechtigkeit in Deutschland und global über ökologische Probleme bis hin zu sinkender subjektiver Lebensqualität trotz steigender Produktion und steigendem Konsum. Besonders aus Richtung der Wirtschaftswissenschaften hört man oft die These, die Probleme seien zu bewältigen, wenn der freie Markt besser funktionieren würde, was heißt: wenn man ihm staatlicherseits weniger Hemmnisse entgegenstellen würde, höchstens an der einen oder anderen Stelle einen Rahmen setzen.

Dem möchte ich provozierend entgegenhalten: Diese Probleme sind bisher nicht so stark aufgetreten, weil der freie Markt zwar existiert, aber nicht perfekt funktioniert hat. Und sie verschärfen sich mit der aktuell eigentlich immer freier werdenden Marktsituation. Dabei habe ich zunächst gar nicht den Staat als „Gegenspieler“ des freien Marktes im Blick, sondern natürliche, psychologische und geographische Markthindernisse. Es ist das verschwinden dieser Markthindernisse, das unsere globale Marktordnung in die genannten Schwierigkeiten hineinmanövriert, nicht das wachsen von Markthindernissen.

Ein perfekter Markt folgt bestimmten Regeln. So finden etwa Produktion und Konsum zu einem Gleichgewicht im Schnittpunkt von Angebots– und Nachfragekurve, der Preis für ein gleichartiges Gut ist überall gleich.

Demgegenüber weicht das Marktgeschehen eines nicht perfekten Marktes von diesen Regeln ab. Etwa weil der konkurrierende Anbieter eines Produktes dieses transportieren muss und damit teurer wird als der lokale Anbieter. Oder weil Konsumenten über ihre rationale Abwägung hinaus „irrationale“ Präferenzen zum Beispiel für einen vertrauten Anbieter haben.

Der mangelhafte Markt lässt also Lücken im regelhaften Systemablauf. Diese Lücken nun sind es, die ich spannend finde. Wir bekommen beigebracht, sie als Fehler und Probleme zu betrachten, der Idee folgend, dass die Marktteilnehmer – Menschen (!) – diese Lücken mit ihrem egoistischen Profit füllen, dass die Lücken somit zum Schaden der meisten Menschen wenige begünstigen. Sicher geschieht das.

Dennoch möchte ich dem entgegenhalten: Diese Lücken sind genau der Spielraum, in dem sich so etwas die ein positiver Unternehmergeist überhaupt entfalten konnte, nach dem heute so oft gerufen wird. Und diese Spielräume sozialer Verantwortung sind es, die das „System Kapitalismus“ so lange „geschmiert“ haben. Sie machten es möglich, dass Arbeitgeber sich über ihren eigenen Nutzen hinaus für ihre Angestellten verantwortlich fühlten. Oder dass sie ein Produkt anboten, das ihren eigenen Idealen von guter Ware entsprach, auch wenn der Kunde nicht in der Lage war, diese Qualität zu schätzen, oder erst nach längerer Zeit.

Wie sieht denn ein perfekter Markt wirklich aus? Er erzeugt einen großen Druck auf die Unternehmer, eliminiert die oben beschriebenen Spielräume. Ein zu teures oder qualitativ mangelhaftes Produkt wird gemieden und verschwindet vom Markt. Produkte werden in genau den Eigenschaften optimiert, auf die Konsumenten beim Kauf achten, andere als „unerwünschte Qualität“ (übrigens tatsächlich ein feststehender Begriff aus der BWL!) fallen gelassen, weil zu teuer.

Und so lange nicht Konsumenten beim Kauf die sozialen Eigenschaften des Unternehmens stark berücksichtigen, fallen unter diese unerwünschten Qualitäten genau die Aktionen sozial verantwortlichen Unternehmertums, nach denen so sehr gerufen wird. Sie kosten nämlich etwas.

Dass die Nachfrage sich in naher Zukunft derartig verändern wird, halte ich für sehr unrealistisch. Zu deutlich sind mir die Anzeichen, dass aus einer diffusen Angst, abgehängt zu werden, jeder einzelne im Gegenteil immer stärker seinen persönlichen Vorteil im Blick hat.

Diese Angst und diesen Egoismus übersetzt ein besserer, „freierer“ freier Markt immer unmittelbarer in die Gestalt des wirtschaftlichen Geschehens. In einem perfekten Markt bekommt man gewissermaßen direkt nach was man fragt. Auch wenn man nach etwas fragt, was sich in größeren Zusammenhängen denkend als ziemlichen Blödsinn erweist.

Was also tun? Die beschriebene Entwicklung des Marktes scheint mir wenig mit politischen Bedingungen zu tun zu haben, eher sich fast naturgesetzartig aus gewachsenen technischen Möglichkeiten unserer Zeit zu ergeben. Im Zusammenspiel vielleicht mit einer Gesellschaft, in der zuerst und zumeist an sich selbst zu denken zunehmend fast als Tugend betrachtet wird.

Dennoch bin ich der Meinung, dass politische Regulierungen eine gewisse Linderung verschaffen können, sie besänftigen ein wenig den Egoismus. Es ist so viel leichter, einen politischen Mehrheitswillen gegen Käfighaltung von Legehennen zu entwickeln als den Willen der selben Menge von Individuen, im Supermarkt die doppelt so teueren „tierfreundlichen“ Eier zu kaufen.

Um am Ende etwas metaphorisch zu werden: Ein freier Markt liefert insgesamt, wonach viele Einzelne fragen. Die Probleme unserer Zeit machen es aber nötig, nach bestimmten Dingen gemeinsam zu fragen. Wie genau? Den Markt mit mehr Gesetzen regulieren? In manchen Bereichen ganz auf Marktmechanismen verzichten? Ich weiß es nicht. Einen Weg zurück in die letzten Jahrzehnte, in denen die Fehler des Marktes sein Funktionieren ermöglicht haben, sehe ich jedenfalls nicht.

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Verbrauchersiegel

Dienstag, 25. Dezember 2007 23:22

Ein grundsätzliches Problem der Marktwirtschaft, in der wir leben, ist eine Asymmetrie der Organisation zwischen Konsument und Produzent. Ich meine damit, dass offensichtlich Firmen immer größer werden, aber Konsumenten weiter eine unwillentliche und unstrukturierte Masse von einzelnen bleiben.

Die Folge ist naheliegend: Im grundsätzlichen Interessenkonflikt zwischen dem Konsumenten, der ein möglichst gutes, seinen Wünschen entsprechendes Produkt zu einem möglichst geringen Preis möchte, und dem Produzenten, der möglichst viel Gewinn, also viel Erlös für wenig Einsatz, haben möchte, in diesem Interessenkonflikt gewinnen die Produzenten an Macht. Können als große Organisationen viel effektiver Informationen verarbeiten und nutzen, gezielt Einfluss auf Politik und öffentliche Meinung nehmen und so weiter. Es fällt einem großen Unternehmen viel leichter, die Zahlungsbereitschaft und psychologischen Schwachstellen, Macken und Bedürfnisse der Konsumenten auszuloten und auszunutzen als umgekehrt dem einzelnen Konsumenten, sich ein genaues Bild von dem zu kaufenden Produkt in seinen Qualitätsmerkmalen und Entstehungsbedingungen zu machen.

Diese Lage ist lustigerweise einer der wenigen Punkte auf meiner Kapitalismus-Kritik-Liste (die in ihrem derzeitigen Stand zu veröffentlichen eines meiner nächsten Projekte ist) den ich für nicht grundsätzlich halte. Der also auch in einer Marktordnung anders sein könnte. Warum das System sich trotzdem so entwickelt hat, wie es heute ist, bleibt eine spannende Frage.

Ebenso spannend ist es, den Erfolg von kleinen Gegenbewegungen zu verfolgen. Von der Idee her fällt hierunter jede Form von Verbraucherorganisation, also etwa Gütesiegel, die dem Konsumenten einen Teil der Aufgabe abnehmen, genau nachzuprüfen ob das erworbene Gut seinen Ansprüchen entspricht.

Erfolgreich scheint in der Hinsicht gerade das Bio-Siegel zu sein, auch wenn sich die Meldungen häufen, dass seine Bestimmungen immer noch leicht zu unterlaufen sind und mit das Siegel durchaus auch Lebensmittel tragen, deren Herstellung dem Geist von „Bio“ widersprechen — etwa wenn massiv mit Kupfer gegen Schädlingsbefall an Obst vorgegangen wird.

Trotzdem besser als Alternativen, etwa das „QS — Qualität und Sicherheit“-Siegel. Dieses Siegel aus dem Lebensmittelbereich steht in der Kritik wegen einem Punkt, der mir besonders am Herzen liegt: Tierschutz. Die PETA hat Photos und Informationen zu den Zuständen in zertifizierten Bauernhöfen (bzw. Agrarfabriken) veröffentlicht. Die Details sind in einem Spiegel-Online-Artikel zu lesen, aus dem ich im Folgenden zitieren möchte, was das Problem des Siegels ist:

[…] gegründet wurde die „QS Qualität und Sicherheit GmbH“ vom Deutschen Raiffeisenverband, dem Deutschen Bauernverband, den Verbänden der deutschen Fleischindustrie, der Handelsvereinigung für Marktwirtschaft und nicht zuletzt von der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) — allesamt Vertreter der durchrationalisierten, konventionellen Landwirtschaft.

[…] im Gegensatz etwa zum Bio-Siegel sei QS kein staatliches Prüfzeichen, die Industrie prüfe und verleihe es sich selbst. „Das ist automatisch die Schwäche dieses Siegels, wenn die Produzenten selbst ihre Standards und Kontrollsysteme festlegen“, kritisiert Höhn.

Und das hat Folgen, sowohl was die Kriterien als auch deren Überprüfung angeht. „Die Bauern wollten sich nicht in die Karten sehen lassen und haben deshalb alles blockiert, was eine transparente Herkunftssicherung für den Verbraucher möglich gemacht hätte“, sagt auch ein Landwirtschaftsexperte, der sich jahrelang mit Qualitätssicherungssystemen beschäftigt hat. Außerdem gebe es keine neutralen Zertifizierungsstellen, die Prüfer würden von den Bauern selbst bezahlt. „Scharfe Überprüfungen lohnen sich für die Labore nicht, weil sie dann beim nächsten Mal keine Aufträge mehr bekommen.“ QS dagegen verweist darauf, mit anerkannten Instituten wie etwa dem TÜV zusammenzuarbeiten.

Also: Es handelt sich grundsätzlich nicht um eine Verbraucher-, sondern um eine geschickt getarnte Produzentenorganisation, was schön den von mir anfangs gemachten Punkt der Machtungleichheit illustriert. Und es krankt an der Schwierigkeit, dass der geprüfte für die Prüfung bezahlt, und der Prüfende zwischen den Interessen seines Auftraggebers und des fernen Kunden abwägen muss.

Jenseits von staatlichen Regelungen wie dem Bio-Siegel scheint also noch keine Verbraucherorganisation in Sicht. Ich fände es sehr spannend, ob einer meiner volkswirtschaftlich gebildeten Leser mir das erklären kann.

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