Tanzania 3 — Ankommen im Alltag

Ziemlich genau zwei Wochen nach meinem ersten aufwühlenden Schultag fühlt es sich schon ein bisschen an, als wäre ich immer hier gewesen. Dabei strömt immer noch eine konstante Flut von Eindrücken auf mich ein, selbst (vielleicht gerade) hier im unglaublich ruhigen Dorfleben.

Zunächst die Schule: Der erste Schock ist einem gemütlichen Arbeitsalltag gewichen. Einiges irritiert mich schon, vor allem der Umgang mit dem Stundenplan ist schwierig. Die schöne, gesellige und leckere Teepause von 11:20 bis 11:40 hat ihren Preis: sie fängt regelmäßig erst kurz vor 12 an, und wenn ich nicht die feinen Chapati und Mandazi runterschlingen und mir an heißem Tee die Zunge verbrennen möchte (abgesehen natürlich von dem Verlust der Gesprächsrunde), dann fängt meine Stunde halt ne halbe Stunde später an. Selbst bei ner Doppelstunde bleibt dann nicht mehr so viel übrig. Aber irgendwie scheint das Überziehen dann auch wieder System zu haben.

Letzten Donnertag hatte ich so ein Erlebnis, ich komme aus der Form 1 in die Form 3, schon etwas zu spät. Entgegen der üblichen Gepflogenheit springen die Schüler nicht auf, um „Good Morning Sir“ zu rufen, und ich entdecke, dass der Lehrer vor mir noch zwischen den Schülern sitzt und Aufgaben mit ihnen löst. Ich mag ihn sehr gerne, und seine Art des Unterrichts behagt mir auch viel besser als die Kollegin, die mit dem Stock vorne steht. Selbige hat mir im Lehrerzimmer allerdings gerade gesagt dass sie „um 10″ (nach mir) in die Klasse geht, und so von vorne und hinten in die Zange genommen erscheint es mir nicht mehr sinnvoll, wie geplant ein neues Thema anzufangen. Ich überlasse dem Lehrer die Klasse noch etwas, was er gerne annimmt, und entscheide mich, dann nach der Kollegin nochmal reinzugehen, die allerdings selbst 20 Minuten überzieht. Und die Schüler sind dann schon etwas geschafft, und nicht mehr alle im Klassenzimmer. Der Ton, indem einer der Schüler auf meine Frage, ob wir jetzt Physik machen können, antwortet: „Yes, Physics today, you didn’t come“ bricht mir fast das Herz. Ich werde mehr absprechen und mehr auf meiner Unterrichtszeit bestehen.

Insgesamt ist der Unterricht ein großer Lernprozess, für mich vor allem darin, wie ich mit der sehr sehr limitierten Kommunikationsmöglichkeit umgehe. Und damit, dass die Schüler die Art zu lernen, die ich wichtig finde, gar nicht gewöhnt sind. Vor allem die Form 1 hat Stoff, der echt alltagsrelevant ist, und ich wünsche mir, dass sie auch ein bisschen dahin mitnehmen. Habe die letzte Woche vor allem damit verbracht, mit einer aus verschieden großen Papierstücken und zwei Büchern als Waagschalen improvisierten Balkenwaagen-Attrappe das Wiegen von Dingen zu illustrieren und zu üben. Ich dachte, ich lasse sie erst ein wenig experimentieren, mit den „Gewichten“, und mir als Waage, aber sie waren genauso hilflos wie willig. Immerhin, sie sagen mir zunehmend, was sie nicht verstehen, und ich habe das Gefühl wir bewegen uns vorwärts.

Und dann soll ich genau wie alle andren eine Schuljahres-Abschlussprüfung von zweieinhalb Stunden stellen, nach (dann) drei Wochen Physik. Mal sehen, wie das klappt. Die Form 3 werde ich auch das fragen, was sie mir sagten dass sie schon am Anfang des Jahres mit einem anderen Lehrer gelernt haben, ich bin sehr gespannt. Die Form 3 ist insgesamt sehr auf die nationale Abschlussprüfung fixiert, die am Ende von Form 4 kommt und glaube ich die Weichen stellt für weitere Bildungsmöglichkeiten. Nur die Schüler, welche die Prüfung in Physik machen werden, sind aktiv dabei, die dafür umso mehr. Und nach einem kurzen Moment der Versuchung habe ich mich dagegen entschieden, die anderen mit dem Stock zur Mitarbeit zu bewegen…

Ansonsten genieße ich es sehr, mich mit den Lehrern zu unterhalten, vor allem die (männlichen) Junggesellen sind sehr kontaktfreudig, war heute nach der Schule noch kurz bei einem zu Hause und werde vermutlich mit ihm mal ein Wochenende nach Bukoba fahren, am Strand entspannen und vielleicht sogar mal wieder tanzen gehen… Die Kolleginnen sind auch sehr nett, vielleicht ein wenig schüchterner, vielleicht auch einfach mehr ausgelastet. Sind jedenfalls soweit ich weiß alle verheiratet und die meisten mit kleinen Kindern, die oft in der Schule dabei sind, und ich sehe nicht, dass die häusliche Arbeit mehr geteilt würde (d.h. überhaupt geteilt würde) bloß weil die Frauen auch arbeiten. Bei einem Frühstücks-Gespräch über Fußball habe jedenfalls mal eine gefragt, ob sie sich für Fußball interessiert, und sie hat gelacht und auf ihre knappe Zeit verwiesen…

Die Gespräche sind durchaus persönlich und tief. Besonders mit einem Kollegen, mit dem ich jetzt fast täglich sein Psychologie-Material von der Fernuni durchspreche (es ist furchtbar traurig und empörend, dass in einem für Lehrer gedachten Psychologie-Modul im Kapitel Lernen hauptsächlich Konditionierung behandelt wird!). Das Thema Schule beschäftigt die Kollegen sehr, und ich weiß nicht ob es daran liegt dass ich meinen Schock sicher schlecht verstecken konnte oder ob es sie auch von sich aus umtreibt, jedenfalls habe ich schon viele Gespräche über Disziplin, Motivation und die Prügelstrafe gehabt.

Aber Beziehungen und Sexualität bewegen die Leute hier genauso wie zu Hause, wenn auch vielleicht auf unterschiedliche Art. Eine wichtige Frage ist, wie man Triebe und Bedürfnisse beherrschen kann. Was von Masturbation zu denken sei. Spannend fand ich natürlich auch, zu hören, was hier so der Kenntnisstand zu AIDS ist. Es halten sich recht ernsthaft Ideen wie die, dass (männliche) Beschneidung ein ganz guter Schutz sei, oder wenn die Frau gut „vorbereitet“ ist. Ersteres ist sicherlich und letzteres vermutlich wissenschaftlich nicht abwegig, es geht bei der Ansteckung ja vor allem um die kleinen Verletzungen. Allerdings gefährlich, wenn damit eine Illusion von Sicherheit vermittelt wird. Was mich auch erstaunt, ist dass beim Thema Kondome der Verhütungsaspekt gar keine Rolle spielt, da muss ich nochmal nachhaken! Und irgendwann wäre die weibliche Perspektive natürlich auch spannend.

Außerhalb der Schule genieße ich die viele Freizeit und habe es auch sehr genossen, wieder Nachrichten zu lesen und mich intellektuell zu beschäftigen, finde mich aber etwas zu viel am Computer, etwas was ich schon fast nicht mehr für möglich gehalten hätte. Habe mir auch mit einem ausgefeilten Programm (werde dazu was schreiben wenn ich es gründlicher getestet habe, scheint bis jetzt das erste richtig gute Karteikarten-Lernprogramm zu sein, das ich gefunden habe) eine Menge Kiswahili-Vokabeln vorgenommen, aber bin da jetzt eine Weile nachlässig gewesen.

Ich bin aber auch viel müde die Tage, vermutlich ein Mischung aus Erholungsbedürfnis nach sehr vollgepackten Reisewochen vor meiner Ankunft hier und meinem konstant aktivierten Immunsystem — bin schon eine Weile am Schniefen, und Leute hier sind auch viel krank oder halb krank, besonders die Kinder. Das erstaunt mich auch wenig in Anbetracht der Ernährung, die (ein Stück weit unabhängig vom Geld) recht wenig gesund zu sein scheint. Frühstück ist für viele nur Tee mit viel Zucker, die relative Fülle an frischen Früchten wird eher gering geschätzt. Und selbst wenn Kochbananen vermutlich sehr gesund sind glaube ich doch, dass sie noch einer andere Ergänzung als Fleisch oder (viel häufiger) Fisch bedürfen, um eine ausgewogene Ernährung zu machen.

Andere Aspekte meines Lebens und besonders Aktivitäten der Wochenenden kommen bald mit Bildern.

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Datum: Montag, 16. Mai 2011 20:46
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2 Kommentare

  1. 1

    Fascinating!!! :) I would love to see your ‚balancing act‘ in your physics lesson!!!!

  2. 2

    Ich mag deinen Schreibstil! Das ist nicht so hingeschmiert sondern irgendwie schön… Lehre deine Schüler doch auch mal die „Annahme mit der Innenseite“;)