Wir werden alle glücklich sein: Positive Psychologie

Eine Entwicklung der zeitgenössischen Psychologie macht mir gerade Angst. Sie kommt (wie könnte es anders sein) aus Amerika, ist mit einem der ganz großen Namen der modernen, kogntiven Psychologie verbunden (Martin Seligman, bekannt für seine Arbeit zu Depression), und mit einer netten Anekdote verknüpft:

Seligman likes to tell the story of how his daughter Nikki, when she was 5, accused him of being a grouch. She reminded him that he had criticized her for being whiny and that she had worked hard to stop whining. If she could stop being whiny, he could stop being grumpy. He realized, he says, that she was right, that he was “a pessimist and depressive and someone of high critical intelligence” and that he needed to change. Seligman, who at 54 had just been elected president of the American Psychological Association and was renowned for his hard science — most of his research had been in depression — decided to put his considerable talents into finding out “what made life worth living.”

Happiness 101 — New York Times

Im Grunde tut er damit ja etwas, was ich auch mache, zur Zeit ja mal wieder besonders intensiv. Wo er allerdings hinkommt auf seiner Suche, das finde ich gruselig:

His research has demonstrated that it is possible to be happier — to feel more satisfied, to be more engaged with life, find more meaning, have higher hopes, and probably even laugh and smile more, regardless of one’s circumstances.

Authentic Happiness :: Using the new Positive Psychology, Hervorhebung von mir

Mein Problem mit der Sache ist: Die ganze Verwantwortung wird dem einzelnen Individuum zugeschoben. Mit den richtigen Techniken kann man glücklich sein, egal wie die Umstände sind. Damit wird hier eine Weltabgewandtheit gepredigt, die ihren Platz vielleicht in einem buddhistischen Kloster hat, nicht aber in der Wissenschaft. Die ist damit nämlich nicht mehr Motor gesellschaftlichen Fortschritts, sondern stabilisiert die herrschenden Verhältnisse (ich bitte darum, mir meine klassenkämpferische Rhetorik zu verzeihen, aber in diesem Zusammenhang drängen sich mir diese Kategorien einfach auf).

Du bist unzufrieden mit Deinem Job? Du hast wohl Deine Positive Psychologie nicht gut genug trainiert! Du fühlst dich sozial abgehängt? Mach besser Deine Hausaufgaben im Glücklichsein! Und wenn Du damit nicht weiterkommst haben wir hier noch ne nette Pille für Dich…

Aber genug Zynismus. Ganz unrecht hat der Ansatz nämlich natürlich nicht. Es gibt Leute, die auch in lebenswerten Umständen unzufrieden bleiben.

Das Thema führt also direkt zu einer Grundfrage unserer Existenz, die ich für mich auch noch nicht richtig gelöst habe: Bis zu welchem Grad ist es richtig, sein Glück durch Veränderung der Welt erreichen zu wollen, und ab welchem Punkt fügt man sich besser einfach in die Dinge und lernt, mit dem Bestehenden glücklich zu sein?

Es scheint mir recht offensichtlich, dass beide Extreme zu nichts führen. Wobei ich es bemerkenswert finde, dass viele Philosophien und Religionen dem passiven Pol dieser Skala sehr nahe stehen. Und unser alltägliches Leben dem Anderen.

So oder so: Ich finde Seligmans Rezepte zu simpel. Es lohnt sich übrigens echt, mal einen Blick auf seine Seite zu werfen und sich selbst ein Bild zu machen!

Da fühle ich mich doch bei Viktor Frankl besser aufgehoben. Irgendwie wirkt das auf mich ernster. Ich denke, ein Punkt, der mich bei Seligmans Happiness sehr stört, ist der Versuch, etwas Transzendentes in erfahrungswissenschaftliche Kategorien zu pressen und von außen zu lehren, als ob das mit einfacher Weitergabe von Information getan wäre.

Autor:
Datum: Dienstag, 13. Februar 2007 2:52
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Allgemein

Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Kommentare und Pings geschlossen.

Ein Kommentar

  1. 1

    Das hört sich so an, als würde Seligman die Sache ordentlich übertreiben. Die Kernaussage ist in meinen Augen, dass das Glücklichsein nichts ist, was einm durch einen Lottogewinn oder ähnliches zufällt. Vielmehr kann man happiness selbst erzeugen.

    Aber das erklärt Dan Gilbert viel besser, auch wenn er sich dafür 20 Video-Minuten Zeit nimmt.