Donnerstag, 30. August 2007 13:36
Schon einige Zeit schlummert ein Artikel aus der SZ in meiner „zu bearbeiten“-Abteilung. Um genau zu sein seit dem 18. Mai 2007… Er hat an Aktualität nichts verloren.
Dass Pharmakonzerne große Summen in die Forschung investieren ist bekannt. Ebenso, dass sie die Ausgaben mit patentgeschützten Produkten wieder erwirtschaften. Und auch dass dabei Produkte, die von wenig zahlungskräftigen Patienten, etwa in der dritten Welt, gebraucht würden, auf der Strecke bleiben. In einem Interview mit Tido von Schön-Angerer von der Organisation Ärzte ohne Grenzen erfährt man einige konkrete Zahlen hierzu:
SZ: Welche Rolle spielt der afrikanische Kontinent für die Industrie?
Schön-Angerer: Der Absatz in Afrika macht ein Prozent des pharmazeutischen Weltmarktes aus. Deshalb bestehen kaum Anreize, die Entwicklung von Medikamenten gegen armutsbedingte Krankheiten voranzutreiben.
SZ: Wie viel investieren die Konzerne in Arzneien gegen Tropenkrankheiten?
Schön-Angerer: Sehr wenig. Nur ein Prozent von allen echten Innovationen galten in den letzten Jahren den vernachlässigten Krankheiten.
Eigentlich müsste ich jetzt in eine längere Abhandlung über Marktmechanismen übergehen. Aus dem VWL-Nebenfach weiß ich, dass man dort versucht, Umverteilung und Güterbereitstellung getrennt voneinander zu denken. Das Problem ist also nicht, dass Medikamente für die Kunden entwickelt werden, die bereit sind dafür Geld auszugeben. Sondern dass die Menschen in der dritten Welt kein Geld haben. Kein Marktproblem, sondern ein politisches Problem also…
Und ohne weiter auszuholen möchte ich anmerken, dass dieses Problem tatsächlich nicht in den Kern meiner Kapitalismuskritik fällt, zu der ich demnächst einen erweiterten Grundriss online stellen will.
Trotzdem sehen auch Ökonomen Möglichkeiten, das Angebot besser an den realen Bedarf anzupassen:
Schön-Angerer: Experten wie der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz diskutieren Versuche und Modelle, um die Entwicklungskosten einer Arznei nicht über den Preis gegenzufinanzieren. Sie können die Entwicklung etwa vorfinanzieren lassen. Möglich ist auch das Ausschreiben von Preisgeldern — bevor an einem Medikament geforscht wird. Wer das Mittel in solch einem Forschungswettbewerb liefert, bekommt das Geld.
SZ: Das klingt sehr vage. Wer soll die hohen Investitionskosten tragen?
Schön-Angerer: Dieselben Menschen, die die hohen Investitionskosten heute schon bezahlen. Menschen wie Sie und ich, über Steuern und Versicherungen.
Ohne den Markt ganz umkrempeln (quasi entmarkten) zu wollen scheint das der einzige Weg zu sein: dafür zu sorgen, dass sich mit dem, was dringend gebraucht wird, auch am meisten Geld verdienen lässt. Ob wir (will heißen: Staat, Bürger, Steuerzahler) so viel ausgeben können, wie sich mit der Behandlung von Zivilisations-Mode-Krankheiten verdienen lässt scheint mir allerdings fragwürdig.