SZ Kommentare zu Stuttgart 21

Der viel gelobte Schlichtungsprozess um Stuttgart 21 ist also zu Ende, und es sieht nicht so aus, als ob jetzt Frieden um das Bahnhofsprojekt einkehren würde. In der SZ gab es zwei eher kritische Kommentare zu Prozess und Ergebnis, einer von Heribert Prantl und einer von Andreas Zielcke. Prantls Fazit:

Das Schlichtungsprojekt ist zukunftsweisend. Mit dem Eisenbahnprojekt auch in der Geißlerschen Version verhält es sich freilich wie mit einem verkrüppelten Weihnachtsbaum: Viele schöne Kugeln ändern am Fehlwuchs nichts; aber der glitzernde Schmuck macht den Anblick gefälliger. Für eine wirklich große und gute Lösung kam die Schlichtung zu spät; sie war das zu späte Ergebnis einer bürgerlichen Erhebung. Niemand kann dann in nur neun Sitzungen und hundert Stunden die Fehler von zwanzig Jahren beheben.

Was Prantl sehr positiv beurteilt sind die Folgen für zukünftige Großprojekte, und für unsere demokratische Kultur. Künftig müssten Bürger ernster genommen werden, gleichzeitig hätten die langen Live-Übertragungen gezeigt, dass auch anspruchsvolle Kost von den Bürgern angenommen wird, und dass Demokratie Spaß machen kann. Wir seien auf dem Weg in eine neue, mediale Zivilgesellschaft:

Die Schlichtung war ein Experiment, bei dem Vertreter der internetgestärkten Zivilgesellschaft mit Vertretern der repräsentativen Demokratie am Tisch saßen. Aus dem Experiment ist nun ein Vorbild geworden: Politiker werden künftig mit ihren Bürgern anders umgehen müssen.

Andreas Zielcke schreibt länger, bemängelt mehr Substanzielles an der inhaltlichen Lösung, und verurteilt auch den Prozess: „Ein schlechteres Modell demokratischer Konfliktlösung kann es kaum geben.“

Inhaltlich argumentiert er, dass ein Baustopp bis zum Ergebnis des verordneten Stresstests logisch zwingend gewesen sei, und ein Volksbefragung naheliegend und sinnvoll gewesen wäre.

Aber seiner Meinung nach ging es bei der Schlichtung eigentlich nicht um inhaltliche Lösungen:

Darum war die Schlichtung in Wahrheit keine Entscheidungsfindung, sondern der Versuch, die Ohnmächtigen mit dem harten Faktum ihrer feststehenden Niederlage zu versöhnen. Sie war therapeutisch angelegt, nicht offen. Man lieh ihnen nicht das Recht, nur das Ohr. Offenheit hätte vorausgesetzt, dass Bahn– und Staatsvertreter ihre S-21-Rechtstitel dem Schlichter zur Disposition stellen.

Spannend finde ich auch seine prozessualen Einwände gegen die Schlichtung. Da ist zunächst die Asymmetrie an Information und Expertise:

So konnte die Bahn an der Gegenseite das Fehlen ausgereifter Alternativkonzepte schmähen, die sie selbst schon vor vielen Jahren — aus planerischen wie aus demokratischen Gründen — hätten vorlegen müssen. Dass sich die Gegner aus einer solchen schwer benachteiligten Lage heraus des S-21-Projekts erwehren müssen, haben nicht sie, sondern Bahn und öffentliche Hand zu verantworten. Eine peinliche, dumme Arroganz.

Daneben sie die Fragestellung der Schlichtung mit der Abwägung S21 oder K21 zu sehr verkürzt gewesen, eigentlich zentrale Themen wie dritte Möglichkeiten (etwa eine teilweise Tunnelung nach dem Zürcher Modell) oder auch mögliche andere Verwendungszwecke für die Mittel (etwa die Rheintaltrasse) blieben außen vor.

Das Thema schließlich, das das Projekt am ehesten legitimieren könnte, sei im Planungsverfahren wie in der Schlichtung komplett im Schatten geblieben: Die Chance, die Stuttgarter Innenstadt nach S21 neu zu erfinden:

Gemeint ist die Tatsache, dass der Stadt mit dem Zuwachs von 100 Hektar faktisch eine Neugründung ihrer Innenstadt bevorsteht. Gemessen daran sind Bahnhofsumbau und Gleisführung, mögen sie auch den Auslöser darstellen, für die Zukunft der Stadt geradezu zweitrangig.

Die Grundstücke seien lange nur als Finanzierungsmasse verstanden worden, und das aus der Schlichtung hervorgegangene Stiftungsmodell sei zwar eine Verbesserung, aber gleichzeitig immer noch ignorant gegenüber der Bedeutung der anstehenden Veränderungen, und ein Misstrauensvotum der Stadt gegen sich selbst.

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Datum: Samstag, 4. Dezember 2010 16:48
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