Erster Schritt oder Apologie? — Foers „Tiere Essen“ und Veganismus
Jonathan S. Foers Buch „Tiere Essen“ scheint auf dem besten Weg, nachdem es vor ziemlich genau einem Jahr in den USA unterm dem Titel „Eating Animals“ schon Aufmerksamkeit auf sich und die Frage des Vegetarismus zog, auch in Deutschland eine wichtige Debatte um den Fleischkonsum und die Produktion von Fleisch zu befeuern. Für Veganer ist sein sehr pragmatischer Zugang natürlich nicht ganz leicht zu verdauen. Entsprechend habe ich ein Interview in der ZEIT mit großem Interesse gelesen, und ich muss sagen, ich finde seine Position sehr überzeugend. Das fängt damit an, wie er das Problem formuliert:
Wir müssen die Art ändern, wie wir darüber reden. Bisher haben wir so darüber geredet, dass es nur eine Alternative zu geben schien: Man darf kein Fleisch mehr essen. Aber es gibt eine Menge Menschen, die sich nicht vorstellen können, Vegetarier zu werden. Und ich verstehe das. Zum Beispiel weiß ich, dass es unendlich viele hungrige Kinder auf der Welt gibt, denen man mit Spenden helfen könnte; trotzdem kaufe ich weiter überflüssige Konsumgüter, statt zu spenden. Das ist zwar scheinheilig – aber scheinheilig zu sein ist eben auch menschlich. Die Frage ist: Können wir es besser machen als bisher?
Das schmerzt, aber ich sehe es auch so: Die absolute moralische Reinheit gibt es einfach nicht. Und ich glaube, es ist einer der größten Gefahren des Veganismus, zu denken, man könne doch irgendwie leben, ohne Leid zu verursachen, und sei es auf eine recht passive und indirekte Weise. Ungefähr so, als käme jemand auf die Idee, man müsse die Bergpredigt einfach wörtlich leben, und alles sei gut.
Und dann finde ich sehr gut, wie er einerseits auf pragmatische Lösungen für die aktuell drängende Situation pocht, und andererseits für einen grundlegenden philosophischen Diskurs offen bleibt.
Ob wir es grundsätzlich in Ordnung finden, Fleisch zu essen, ist eine beinah hypothetische Frage angesichts der Tatsache, dass 99 Prozent unseres Fleisches aus Massentierhaltung stammen, in der die Tiere auf eine Weise dahinvegetieren, die viele von uns verwerflich finden. Wenn Sie mich also fragen, ob ich das Töten von Tieren falsch oder richtig finde, wüsste ich nicht mal genau, was antworten. Was ich aber genau weiß, ist, dass es falsch ist, was wir derzeit machen.
Auch seine Aussagen zum Thema Veganismus finde ich erstaunlich ehrlich:
ZEIT: Wenn es Ihnen nicht um die grundsätzliche Frage des Tiertötens geht, sondern um die Massentierhaltung, warum plädiert Ihr Buch dann nur für Vegetarismus und nicht gleich für Veganismus? Das tierquälerische System der Aufzucht, Haltung und Schlachtung ist schließlich dasselbe, ob für Fleisch, Eier oder Milch.
Foer: Es ist dasselbe. Allerdings war ich bei Beginn meiner Arbeit mit vielen Themen wie Milchwirtschaft und Legehennenhaltung nicht vertraut; ich kam eigentlich erst dahin, als ich mich schon mitten im Buch befand, und dann hätte ich ein ganz neues Feld aufmachen müssen. Das wäre ja fast ein zweites Buch.
Zum Abschluss ein kleiner Dialog, den ich auch schon oft mit Fleischessern hatte. Und selbst etwas ganz ähnliches zu sagen pflege:
Ein Freund von mir hat gesagt, ich würde ja gern mit dem Fleischessen aufhören, aber wenn meine Großmutter mich einlädt, gibt es immer Roastbeef, das esse ich so gern. Ich hab ihm gesagt: Dann iss das Roastbeef! Aber iss kein Fleisch mehr in Restaurants oder bei McDonald’s. Darauf antworten manche: Aber das ist doch scheinheilig. – Okay, dann sei eben scheinheilig! Das Ziel ist ja nicht, ethisch rein zu sein, sondern die Welt besser zu machen.
Ermutigend und traurig zugleich.
PS: Wer wie ich nicht das ganze Buch lesen möchte, dem sei ein NYTimes-Magazin-Artikel ans Herz gelegt, den man glaube ich durchaus als Zusammenfassung verstehen kann.
Sonntag, 10. Oktober 2010 1:08
PPS: Ich finde die Bergpredikt enorm spannend, die englische Wikipedia hat einen guten Überblick über Interpretationen.
Samstag, 23. Oktober 2010 11:40
„Das Ziel ist ja nicht, ethisch rein zu sein, sondern die Welt besser zu machen.„
Das ist echt ein schönes Zitat! Eine Anwort auf all jene, die auf zynische Weise alle Bestrebungen zur Weltverbesserung dadurch angreifen, dass sie spitzfindig auf moralischen Inkonsistenzen herumreiten, ohne sich selbst zu bemühen.
Klingt lesenswert!