Anstattsinn — Ein gut gelaunter Atheist im Interview

Die SZ Wissen hat ein Interview mit dem Naturphilosophen Bernulf Kanitscheider, der einem Sinn des Lebens entschieden abschwört und an der griechischen Philosophie orientiert einen gemäßigten Hedonismus die richtige Antwort auf die Frage unserer Existenz findet. Einige Missverständnisse werden dabei schön formuliert ausgeräumt (deshalb verdient dieser Beitrag auch trotz seiner Länge den Tag „Einfach gesagt“). Trotzdem bleibt bei mir ein gewisses schales Gefühl zurück. Geht die Suche doch weiter?

SZ Wissen: Also noch mal die Frage: Warum also sitzen Sie hier so gut gelaunt?

Kanitscheider: Ich habe akzeptiert, dass man aus dem Kosmos keine Handlungsanweisungen ableiten kann, auch sonst nicht aus der Natur. Wir sind in unserer endlichen Existenz auf uns selber zurückgeworfen. Man ist auf einem Irrweg, wenn man glaubt, dass nur das wirklich bedeutsam ist, was ewig währt. Es stimmt nicht, dass der Tod die einzige bedeutungsvolle Sache im Leben ist.

Wer immer nur auf das Ende des Daseins blickt, nimmt sich die Chance, sein Leben erfüllt zu gestalten. Man kann es auch umgekehrt sehen: Es ist gerade die Sterblichkeit, die ein menschliches Leben kostbar macht. Wenn wir unendlich viel Zeit zur Verfügung hätten, könnten wir jedes Ziel in die unbegrenzte Zukunft verschieben.

SZ Wissen: Wie kann man ohne Gott Ziele für sein Leben finden?

Kanitscheider: Der griechische Philosoph Aristippos von Kyrene hat bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. die Denkschule des Hedonismus begründet. Sie geht von der Einsicht aus, dass alle Lebewesen — Menschen und Tiere — Schmerz vermeiden und nach Lust und Freude streben. Diesem Streben sollten wir nachgeben und uns überlegen, wie wir diese Lust steigern können.

Epikur hat diese Ethik verändert und die entscheidende Frage gestellt: Wenn wir das Streben nach Lust als Prinzip setzen, wie können wird darauf eine gedeihliche Sozialstruktur aufbauen, bei der die Interessen aller Menschen vereinbar werden?

[…]

SZ Wissen: Viele werden sich lieber an den Strand legen und den Wellen zuschauen.

Kanitscheider: Wenn für sie die Inaktivität das höchste der Gefühle darstellt, warum denn nicht? Bereits Aristippos hat erkannt, dass die Natur des Menschen zu verschieden ist, um ihm inhaltliche Vorgaben zu machen. Für Aristoteles war die Erforschung des Weltalls das höchste Ziel des Lebens. Das wird man einem intellektuell weniger interessierten Menschen kaum vermitteln können. Ebenso wird man einen unmusikalischen Menschen nicht zum Geigespielen bringen.

SZ Wissen: Im allgemeinen Verständnis setzt man die hedonistische Lust eher mit dem sexuellen Vergnügen gleich.

Kanitscheider: Diese Einengung ist eine Folge der christlichen Diffamierung des hedonistischen Lebensziels, insbesondere durch die Kirchenväter. Augustinus nannte Epikur ein Schwein und Lüstling, weil dieser auch die Liebe positiv bewertete. Tatsächlich waren Epikur intellektuelles und kulturelles Erleben und die Freude an Kunstwerken genauso wichtig. Aber natürlich ist die Sexualität eine starke, biologisch verankerte Triebkraft und ein Quell großer Freude.

Es ist tragisch, dass unter dem Einfluss des Christentums und der Kirche das natürliche Sexualstreben der Menschen über Jahrhunderte geknebelt worden ist. Die Heftigkeit der Verfolgung ist unter anderem sicher auch durch das biblische Gebot im fünften Buch Mose zu erklären, das Inhumanitäten wie die Hinrichtung von Homosexuellen und Ehebrechern fordert.

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Datum: Montag, 10. November 2008 17:29
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Ein Kommentar

  1. 1

    So ist es :-). Gutes Interview.