Unmoralische Grenzwanderung
Montag, 10. November 2008 17:55
Das Thema Prostitution ist schon alleine schwierig genug. Als liberal denkender Mensch schwankt man leicht zwischen verschiedenen Gedanken und Gefühlen. Auf der einen Seite macht es Sinn, die Situation durch Legalisierung bzw. Entstigmatisierung zu verbessern. Auf der anderen Seite ist das ganze Phänomen irgendwie elend, und zwar für beide Seiten des Handels, und man wünscht sich andere Lösungen — für die Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Sexualität ebenso wie für den Lebensunterhalt. Noch komplizierter wird es, wenn gar nicht klar ist, wie sehr man dabei überhaupt für die Betroffenen sprechen kann (siehe unten).
Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung bzw. jetzt.de kämpfen Studentinnen in der Ukraine gegen den Sextourismus in ihrem Land und das Image als Bordell Europas. Da kommt dann noch ein Schuss Neo-Kolonialismus in die komplizierte moralische Lage. Und ein wenig Kapitalismuskritik, wenn die Prostitution nicht nur das Überleben sichert, sondern auch Luxusgüter finanziert. Oder ist das dann die freie Entscheidung einer jungen Frau und ein schönes Beispiel dafür, wie freier Handel das Wohlergehen aller steigert?
Unanständige Angebote
„Für viele Touristen ist jede Ukrainerin eine Nutte“, sagt die 20-jährige Sascha. Die Studentin mit den blonden Haaren kennt das Gefühl, ständig angefasst und wie „ein Stück Fleisch“ angegafft zu werden. Im September ergab eine Umfrage unter 1 200 Studentinnen in Kiew, dass zwei Drittel von ihnen unanständige Angebote von Ausländern bekommen haben. Darüber hinaus gibt es zum Thema Sextourismus kaum offizielle Zahlen. Laut Innenministerium arbeiten 12.000 Prostituierte in der Ukraine – Anna hält die Zahl aber für untertrieben, weil ein großer Teil der Frauen nicht erfasst sei. „Es sind nicht nur Drogensüchtige und arme Frauen, die ihren Körper verkaufen, sondern auch Studentinnen“, sagt sie. Die Mieten in Kiew sind bisweilen doppelt so hoch wie in München und die Stipendien sind karg. Viele Mädchen, sagt sie, kämen mit 17 zum Studium in die Stadt und ließen sich vom Glitzer blenden: iPods gehören ebenso zum Standard wie Taschen von „Gucci“, auch wenn sie nicht echt sind. Viele, so Anna, prostituieren sich für ihr neues Leben.