Essen in Kalifornien
Donnerstag, 4. September 2008 8:08
Es wird höchste Zeit für einen Beitrag, für den ich schon lange Material sammle, gar nicht anders kann als Material zu sammeln, in einem ganz wörtlichen Sinn: Meine Nahrungsaufnahme hier, und die der Menschen um mich herum.
Der typischer amerikanische Teil davon ist sicher mein Kantinen-Mittagessen im VA Hospital. Ich weiß mittlerweile, dass trotz der großspurigen Sprüche im Eingang die Veteran Affairs Hospitals nicht gerade für gute Versorgung berühmt sind. Entsprechend sind hier wohl eher die Leute, die nirgends anders hinkönnen, also im Wesentlichen wohl wirklich diejenigen, die im Krieg irgendwie unter die Räder gekommen sind. Mein Weg aus dem Büro in die Kantine ist damit immer wieder ein Ausflug in eine fremde Welt voller mitleiderregender Menschen. Überwiegend älter, aber teilweise auch junge Männer, die trotzdem alles andere als jugendlich unbeschwert aussehen.
Auch die Kantinenangestellten, von denen es eine Menge gibt und die vermutlich nicht viel verdienen, sind seltsame, lustige Leute. Ein junger Mann an der Burgerausgabe begrüßt mich schon am dritten Tag wie einen alten Bekannten und weiß was ich möchte (Pommes ohne Burger …). Eine nette ältere Asiatin an der Kasse fragt mich nach einer Weile, ob ich denn nicht bald eine richtige Anstellung bekäme. Denn das ist eine weitere Besonderheit meiner Arbeit hier: Für das VA Hospital bin ich ein „Volunteer“, ein Freiwilliger. Und muss jeden Tag meine Arbeitszeit in einem zentralen Computer eintragen und bekomme dafür einen Essensgutschein für 6 Dollar. Erstaunlich, wie sehr mich das freut, dafür dass es sich in einen Stundenlohn von ungefähr 80 Cent ($-Cent, wohlgemerkt) umrechnen lässt. Aber es fühlt sich irgendwie nach Anerkennung an. Und anscheinend ist dieses Volunteertum auch eine Art Warteschleife für richtige Jobs hier.
Das Essen jedenfalls ist hier wie das Vorurteil von Amerika: So ziemlich alles frittiert was geht. „Salat“ bedeutet ungefähr „Hühnchen auf Grünzeug“. Es wird überall eine „Healthy Joice“ angepriesen, aber das bedeutet auch Geflügel. Mein Glück ist: Es gibt auch ein Salatbüffet, und obwohl das meiste, was dort liegt, früher mal glücklich über eine Wiese lief (bzw. vermutlich nicht, aber jedenfalls laufen konnte), komme ich so an etwas Frisches. Danach hatte ich besonders am Anfang ein unglaubliches Verlangen inmitten all der fettigen Sachen, fast so schlimm wie in Spanien.
Ansonsten pendelte sich mein Mittagessen ziemlich schnell bei einem Standard ein, der fast alle Dinge kombiniert, die ein Veganer hier essen kann, und als veganes Gegenstück des „SchniPoSa“ bezeichnet werden könnte, das bei Freiburger Studenten anscheinend so beliebt ist, dass die Mensa es jeden Tag anbietet: Schnitzel mit Pommes und Salat, nur mit Falafel statt Schnitzel:
Ein bisschen ärgerlich ist, dass das Salatbuffet unglaublich teuer ist. Die scheinen die Dinge hier nach Vitamingehalt zu berechnen oder so, jedenfalls kostet der Teller Salat mehr als die anderen Sachen zusammen, und der Gutscheinbetrag erschöpft sich schnell.
Damit sitze ich dann in die Sonne, auf seltsame Tisch-Bank-Kombinationen wie im Kindergarten. Aber immerhin, es ist ein bisschen Grün in der Umgebung.
Und dann beobachte ich mit Staunen, wie schnell sich der Mensch anpasst. Am Anfang habe ich mich noch schrecklich gefühlt, mit Tellern und Schalen aus aufgeschäumtem Plastik zu hantieren und nach jedem Essen eine gute Portion Plastik in den Müll zu schieben, einschließlich Pastikbesteck und einzelne kleine Päckchen vom Ketchup. Aber irgendwie habe ich mich daran gewöhnt.
Der krassest denkbare Kontrast ist dann das Abendessen in der Community. Es wird jeden Abend gekocht, teilweise sind die Mietbewohner dafür eingeteilt, aber eigentlich macht es doch meistens Hilary. Wobei so richtig viel Aufwand scheint es nicht zu sein. Lecker ist das Essen hauptsächlich durch seine guten Zutaten, darüber hinaus ist es ziemlich effizient in einen Topf geschnippeltes Gemüse, mit Kartoffeln oder Reis oder Maiskolben, und eine „Proteinquelle“, z.B. Linsen. Überhaupt scheinen amerikanische Vegetarier sehr besorgt zu sein wegen Proteinen, Vegetarierprodukte werben sehr auffällig damit. Ich weiß nicht, ob es wirklich so gut ist, wenn jede einzelne Mahlzeit 100% des Tagesbedarfs an Proteinen deckt?! Jedenfalls steht jeden Abend ein warmes, ausgewogenes Essen bereit für alle, die Lust haben. Es gibt Salat mit einer Tahin-artigen Soße auf Sesambasis, sehr lecker. Was übrig bleibt wird am nächsten Tag zusätzlich aufgewärmt. In der Mikrowelle, für deutsche Ökos undenkbar, aber die ganze Strahlungssache, die bei uns so heiß diskutiert wird, wird hier ganz unbedenklich gesehen.
Die Zutaten des Community-Essens sind alle „organic“. Und sie sind alle abgelaufen. Teilweise kommen sie aus einem Biosupermarkt, mit dem die Leute hier eine Absprache haben und regelmäßig die alten Sachen abholen. Teilweise kommen sie vom „Farmer’s Market“, dem Wochenmarkt, wo wir von diversen Biobauern abholen, was sie nicht bis zur nächsten Woche aufheben könnten. Ich sage „wir“, weil ich da tatsächlich schon mehrmals dabei war. Neben dem Bäumegießen und allgemeiner Beteiligung hier im Haus gehört das zu meinen Beiträgen, mit denen ich das Essen und so gewissermaßen verdiene. Ich glaube ich habe schonmal erwähnt dass je nach Nutzung der gemeinsamen Dinge ein entsprechender Arbeitseinsatz erwartet wird, ein Konzept das mir sehr gut gefällt. Das folgende Foto gibt einen Eindruck von der reichen Beute, die wir machen:
Es ist schon ein komisches Gefühl zu wissen, dass diese Sachen alle in den Müll wandern würden, wenn wir sie nicht holen würden. Dieser Überfluss ist ja keine amerikanische Besonderheit. Aber von der besonderen Wertschätzung Nahrungsmitteln gegenüber, die glaube ich doch die meisten Deutschen meiner Generation noch in der Erziehung mitbekommen haben, ist hier allgemein nichts zu sehen.
Die Sachen, die wir essen, sind meistens noch top, auch wenn ich mich manchmal schon frage, ob Gemüse und so nicht doch schon viel von seinem Nährwert eingebüßt hat, wenn es so alt ist. In vielen Fällen (Bananen, Pfirsiche, Avocados) ist reifer aber sowieso besser, und ich fühle mich wie im Schlaraffenland. Darüber hinaus gibt es immer irgendwelchen Schnickschnack, der in kleinen Plastikbehältern im Biosupermarkt bestimmt ein Vermögen kostet normalerweise. Couscoussalat, Olivenpasten, Artischockencreme. Oder Chai-Schokoladen-Reisdrink, oder Mandelmilch. Und ich finde es ziemlich lustig, dass ich nie genau weiß, was es gibt. Es reicht jedenfalls immer für mein gewohnt üppiges (und oft mit exotischem Obst richtig dekadentes) Müsli, und ich nehme mir auch immer frische Sachen ins Büro mit.
Mit dieser Rundumversorgung kam ich noch gar nicht dazu, die anscheinend unglaubliche Auswahl an veganen Produkten in den Supermärkten hier zu testen, wurde aber schon mehrmals darauf hingewiesen. Insgesamt kommt mir die Gastronomie hier in der Gegend eher traditionell vor. San Francisco ist natürlich anders, das ist schon eine ziemliche Metropole des alternativen Lebens. Demnächst muss ich mal eine vegane Eisdiele in der Hippie-Ecke Height Street ausprobieren, die mir empfohlen wurde. Ja, San Francisco erobert mein Herz, und keineswegs nur wegen des Essens.