Wie zu viel Intelligenz das Finanzsystem ruinierte

Ein in sehr angenehmem Erzählton geschriebener NYTimes-Op-Ed präsentiert die provokante These, dass unsere aktuelle Finanzkrise darauf zurückzuführen ist, dass die „smart guys“ anfingen, an der Börse zu arbeiten. Die Argumentation braucht ein paar Schritte, aber sie macht so viel Sinn, dass man sich am Ende fragt, ob vielleicht was dran ist:

Ausgangsbedingung ist natürlich zunächst, dass es vorher nicht die ganz schlauen Leute waren, die an der Börse gearbeitet haben. Lässt sich aber tatsächlich gut veranschaulichen:

“One of the speakers at my 25th reunion said that, according to a survey he had done of those attending, income was now precisely in inverse proportion to academic standing in the class, and that was partly because everyone in the lower third of the class had become a Wall Street millionaire.”

I reflected on my own college class, of roughly the same era. The top student had been appointed a federal appeals court judge — earning, by Wall Street standards, tip money. A lot of the people with similarly impressive academic records became professors. I could picture the future titans of Wall Street dozing in the back rows of some gut course like Geology 101, popularly known as Rocks for Jocks.

Die nächste logische Frage dann: Warum haben also die besonders intelligenten und akademisch erfolgreichen Leute angefangen, an der Wall Street zu arbeiten? Zwei einfache Gründe: Das Studium (insbesondere Studiengebühren) wurden so teuer, dass selbst Kinderwohlhabender Eltern mit beträchtlichen Schulden aus dem Studium kamen, gerade an den Elite-Unis. Und an der Börse ließ sich zunehmend mehr Geld machen:

So even the smart guys went to Wall Street, maybe telling themselves that in a few years they’d have so much money they could then become professors or legal-services lawyers or whatever they’d wanted to be in the first place. That’s when you started reading stories about the percentage of the graduating class of Harvard College who planned to go into the financial industry or go to business school so they could then go into the financial industry. That’s when you started reading about these geniuses from M.I.T. and Caltech who instead of going to graduate school in physics went to Wall Street to calculate arbitrage odds.”

Und abschließend natürlich der wichtigste Punkt — wie genau hat dieser Zufluss qualifizierten Personals aber zum Untergang des Systems geführt? Hier wird es ein wenig wacklig, wenn auch immer noch plausibel: Es gehört einiges dazu, sich die abgefahrenen Operationen auszudenken, die für eine Weile Unmengen Geld eingebracht haben und dann implodiert sind. Und, vielleicht wichtiger: Die traditionell Erfolgreichen gehen natürlich mit viel höheren Ambitionen in den Job. Außerdem fehlen sie natürlich an anderen Stellen im Wirtschaftssystem, wo dann mit den nicht ganz so cleveren Leuten aufgefüllt werden muss. Weiterhin, und über den Artikel hinaus gedacht: Unser Bildungsystem trainiert auf relativ kurzfristiges und eigennütziges Denken, und bildet in seiner Anreizstruktur das Wirtschaftssystem ab.

Das ist es auch, wo man meiner Meinung nach ansetzen muss, wenn und soweit man der dargestellten Theorie folgen will. Und was mich angeht heißt das: Ein gutes Stück auf jeden Fall.

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Datum: Sonntag, 18. Oktober 2009 2:16
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