Tanzania 2 — Erster Tag in Kagondo Sekondari

Hatte heute schon meinen ersten Tag als Physiklehrer in Form 1 und 3 (entsprechend Klasse 8 und 11) der Sekundarschule in Kagondo nahe Bukoba, wo auch Justus mit Familie wohnt. Und bin so bewegt, dass ich gleich was dazu schreiben muss.

Ich war schon am Ankunftstag, letzten Freitag, mit Justus zusammen auf einem Treffen mit dem lokalen Parlamentarier („MP“) in der Schule. Wir saßen im winzigen „head office“, dem Zimmer des Rektors (bzw. erfreulicherweise eigentlich der Rektorin, die aber gerade ein Kind bekommen hat und in Mutterzeit ist), und es hat eine Weile gedauert bis mir klar war, dass die netten jungen Leute, die schüchtern mit dem imposanten MP sprechen, nicht eine Gruppe von Schülern sind, sondern die Lehrer. Ich konnte von den Inhalten in Kiswahili nur wenig aufschnappen, aber es wurde klar, dass ein MP hier neben politischer Vertretung auch praktischen Rat zur Aufgabe hat. Bei einer späteren Begehung des Geländes hat er ganz anschauliche Ideen dargelegt, wie man mit wenig Geld und einem dicken PVC-Rohr die Schülertoiletten verbessern könnte, und welche Teile der neu gebauten Schulzimmer und Labors mit knappen Mitteln als erstes fertiggestellt werden sollten. Ein paar Glasflaschen mit farbigen Flüssigkeiten ist zur Zeit übrigens die einzige Laborausstattung.

Heute war dann also mein erster Tag, und die jungen Lehrer sind sehr freundlich und hilfsbereit. Ich muss mal ein Paar fragen, wie alt sie sind, aber ich vermute in der Mehrheit deutlich jünger als ich. Was mich schon morgens überraschte war, dass die Schüler auf einer Art Appellplatz versammelt waren, mit tansanischer Fahne, und militärische Drills ausübten — 90– und 180-Grad-Drehungen, „at ease“ und Strammstehen. Das hatte mich schon zu Ehren des MP-Besuchs etwas befremdet, mir dann aber halbwegs eingeleuchtet, ist jedoch wohl jeden Morgen üblich. Wie wir am Freitag mit dem MP ankamen waren die Schüler in ihren adretten Uniformen mit Harken und anderen Gartenwerkzeugen unterwegs, auch das ist wie ich jetzt weiß eine regelmäßige wöchentliche Angelegenheit, „indoor & outdoor cleanliness“.

Der Stundenplan ist auf dem Papier sehr eng getaktet, von 8 Uhr morgens in 40-Minuten-Einheiten (manche davon Doppelstunden) ohne kleine Pausen, aber mit einer größeren Unterbrechung von 11:20 bis 11:40, und dann bis in den frühen Nachmittag. Nach dem eigentlichen Unterricht stehen je nach Wochentag noch andere Aktivitäten im Plan, von „life skills“ über Sport und besagte „cleanliness“ bis hin zur „debate session“, jeweils mit der ganzen Schule gemeinsam (mehr als 250 Schüler). Ich bin gespannt. In der Praxis ist der Ablauf jedenfalls deutlich flexibler. Ich starte gleich mit einer Physik-Doppelstunde in Form 1A, der ersten von zwei Parallelklassen, nach der großen Pause. Nur dass der Frühstücksimbiss für die Lehrer erst am Ende der Pause kommt (sehr lecker, Tee, Chapati, Mandazi), ich starte dann also 20 Minuten später. Nach ein paar Minuten strömt die B-Klasse auch ins Zimmer, es ist wohl üblich, die mehr als 70 Schüler gemeinsam zu unterrichten. Etwa nach weiteren 20 Minuten holt die Kollegin, die die B-Klasse in ihrem Plan stehen hat, ihre Hälfte dann raus, ist wohl auch fertig mit dem Frühstück…

Der Unterricht selbst ist eine interessante Erfahrung — Unterrichtssprache ist in den ersten 7 Jahren Kiswahili, in der Sekundarschule dann Englisch, was aber nicht richtig vorbereitet wird, entsprechend verstehen die Schüler vor allem in der Form 1 der Sekundarschule nicht so viel. Die Schüler sind sehr ruhig und wirken interessiert, wenn auch wie gesagt ein bisschen hilflos. Sie hatten in diesem mehr als halb abgelaufenen Schuljahr aufgrund Lehrermangels nur eine Woche Physik, die Form 3, die ich auch unterrichten werde, noch gar keine. Und das, was sie hatten, bestand offensichtlich darin, dass der Lehrer das Schulbuch an die Tafel kopiert und die Schüler es in ihre Hefte übertragen. Schwerpunkt des bisherigen Stoffs ist „Verhalten im Labor“ und Umgang mit dem Erste-Hilfe-Kit — nur dass es beides an der Schule gar nicht gibt. Ich habe im head office zwei Exemplare der relevanten Schulbücher bekommen (wo vorhanden, sonst nur eines), und mich darüber zunächst gewundert. Mir wurde gesagt, das sei damit ich den Schülern etwas zeigen kann. Und meine Frage, ob die Schüler auch Bücher hätten, wurde erst gar nicht verstanden…

Nach einem kurzen Versuch, Sinn und Nutzen von Physik zu wiederholen (das stand auch im Buch und Heft), wo ich einige auswendige Antworten wie „for construction of buildings“ bekam, ging ich zum ersten echten Thema über — Measurements. Auch das war schon angefangen, und ein Teil des Stoffes war abrufbar, etwa die SI (Internationaler Standard) Einheiten für die elementaren Größen der Physik. Meine Frage, wir wir denn Zeit messen können außer in Sekunden traf aber auf betretenes Schweigen. Auch sonst kann ich von vertieftem und praktisch relevant zu machendem Verständnis nicht mal Ansätze entdecken. Ich hatte aber das Gefühl, dass es gierig aufgenommen wurde, dass ich mit den spärlich vorhandenen Linealen einige Gegenstände messen lies. Wobei dann die Frage, wie viele Meter die Zentimeter-Angaben denn wären, zunächst nicht beantwortet werden konnte. Die Lineale sind auch die einzigen praktischen Gegenstände, die mir zur Verfügung stehen, auch wenn sich im Buch (und getreulich kopiert in den Heften) ein Diagramm einer Schieblehre mit Vernier-Skala (Nonius) findet, die abzulesen in der Theorie auch Lehrplan ist.

Bin so also mit einigem zu Denken, aber ganz zufrieden sowohl mit meinem ersten Unterricht als auch der Tatsache, dass ich echt gebraucht werde hier, von meinem ersten Tag nach Hause gelaufen, mit zwei netten Kollegen, von denen ich mir auf dem Weg Kiswahili-Erklärungen geben ließ. Auch angenehm fand ich, in einer Englisch-Doppelstunde einer Kollegin in der Form 1-Doppelklasse vor meinem eigenen Unterricht einen Eindruck von den örtlichen Gepflogenheiten bekommen zu haben. Und war froh, dass es in einem grundsätzlichen Sinn so anders auch nicht zugeht hier — manches wird für ein paar Minuten mit dem Nachbarn besprochen, es werden Fragen der Lehrerin beantwortet (im Stehen), allerdings keine eigenen gestellt. Im großen und ganzen eine den Umständen entsprechend humane Pädagogik. Meine Befürchtung war eine andere, und ich glaube auch dass es bei manchen anderen Lehrern anders zugeht. Denn mein Tag hatte mit einem ziemlichen Schock angefangen: Ich kam vom head office ins Lehrerzimmer und fand dort eine veritable Bestrafungsorgie im Gange, mit Stockhieben auf Hinterteil und Hände. Schüler waren draußen versammelt, wurden einzeln reingerufen, bekamen ihre Hiebe und ein Blatt Papier, mit dem sie dann Hintern reibend wieder nach draußen zogen. Die „Vergehen“ waren wie ich erfuhr schlechte Ergebnisse in den „mid-term“ Prüfungen. Im Anschluss fegten ein paar Schüler einen ganzen Berg Späne zusammen. Und ich habe manche Lehrer mit einer frischen Rute, von denen es einen guten Vorrat gibt, in ihre Klassen gehen sehen. Die Kollegin, deren Englischklasse ich beigewohnt habe, hatte aber keine dabei, es scheint also auch ohne zu gehen. Und ich habe das Gefühl, dass mir gegenüber ein großer Respekt und ich glaube auch Dankbarkeit da ist, ich hoffe das hält eine Weile vor.

So, dass waren mal in einem ziemlichen Durcheinander die ersten Eindrücke und Gedanken, bin gespannt wie es weitergeht, wenn sich die Klassen und ich ein bisschen aneinander gewöhnt haben, bin gespannt wie das Englisch der Form 3 ist (das der Lehrer, die ja in Englisch unterrichten, variiert ziemlich, überwiegend aber erschreckend bescheiden), bin gespannt ob ich gut ins Kiswahili reinkomme, bis jetzt bin ich zufrieden mit meinen Fortschritten.

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Datum: Mittwoch, 4. Mai 2011 17:34
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3 Kommentare

  1. 1

    Lieber Christoph
    Danke für deine Reiseberichte.

    Andere Länder, andere Sitten

    Liebe Grüße

    Papa

  2. 2

    Habe deinen Beitrag natürlich mit großem Interesse gelesen und bin richtig stolz auf deinen Einsatz an der „Bildungsfront“. Wünsche dir, dass du tiefe Spuren in den Köpfen und Herzen deiner Schüler hinterlässt!

  3. 3

    Meine lieben Eltern! Schön, dass ihr bei mir seid! Mama, vielen Dank für das Lob und die guten Wünsche.
    Alles Liebe, Euer Christoph