Placebos wirken besser, wenn man dreiviertel dran glaubt

In einem interessanten Gespräch mit meiner Schwester über die Frage, ob Ärzten erlaubt werden sollte, Placebos zu verschreiben, habe ich mich an einen Artikel aus dem Wissen-Teil der Süddeutschen erinnert. Es wird von einer Studie berichtet (im Original übrigens hier in den Archives of General Psychiatry), in der Parkinson-Patienten mit vorgeblich unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit ein aktives Medikament oder ein Placebo gegeben wurde. (Ich finde es nebenbei ziemlich erstaunlich, dass die zuständige Ethikkommission das durchgewunken hat — alle Patienten haben das Placebo erhalten, von informierter Zustimmung kann keine Rede sein).

Das erstaunliche Ergebnis ist jedenfalls, dass Patienten, die glaubten, mit 75% Wahrscheinlichkeit das aktive Medikament zu erhalten, sich deutlich (und auch was die bei Parkinson recht gut bekannten neurochemischen Veränderungen angeht) von den anderen Gruppen abhoben, insbesondere auch von der Gruppe, die davon ausgingen, dass sie mit Sicherheit das aktive Medikament erhalten würden.

Bezüglich des Verschreibens von Placebos wäre das ein klares Argument dafür — es würde allen Verschreibungen vom Arzt eine zusätzliche „rein psychische“ Wirkung geben, wenn wir uns nicht mehr ganz sicher wären, dass das Medikament „echt“ ist!

Dennoch bin ich insgesamt eher gegen eine derartige Psychologisierung des Allgemeinarztes. Ich finde, es entspricht nicht einem modernen Verständnis von psychologischen Interventionen, wenn derart mit Täuschung gearbeitet wird. Im Gegensatz dazu ziehe ich aus meiner Prüfungslektüre zu systemischer Therapie und Beratung die Vermutung, dass sich ein ähnlicher Effekt auch mit einer sehr kurzen Psychotherapie erreichen ließe. Ich denke, dass ein großer Teil dieses Placeboeffekts bei ungewisser, aber hoffnungsvoller Erwartung durch eine veränderte Aufmerksamkeit zustande kommt, die sich mehr auf die Beobachtung dessen richtet, was sich vielleicht verbessert oder verändert hat. Und das gehört zum Standardinventar systemischer Techniken, mit denen Probleme „verflüssigt“ werden. Übrigens gibt es in dieser Therapierichtung auch schon viel Erfahrung gerade mit chronischen Krankheiten mit starker biologischer Mitverursachung (z.B. Asthma oder Diabetes bei Kindern).

Und im Gegensatz zur wunderheilerartigen Placebointervention wird dabei gleichzeitig die Selbstbestimmung und Autonomie der Patienten/Klienten gestärkt, und ihr Vertrauen in ihre eigenen Problemlösefertigkeiten. Und — ich möchte eine potenzielle Einschränkung meiner Neutralität in dieser Frage nicht verschweigen — mir geht nicht so schnell die Arbeit aus…

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Datum: Montag, 16. August 2010 0:18
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2 Kommentare

  1. 1

    Auch ich fände es sehr bedenklich, wenn die Behandlung mit Placebos zum normalen Repertoire der Ärzte gehören würde. Eine befristete Gabe — quasi um dem Patienten zu zeigen, welche Wirksamkeit psychische Faktoren haben — wäre vielleicht interessant.
    Durch die Erfahrung mit der Selbst-Medikation von Schüssler-Salzen ist mir schon länger bewusst, welche große Bedeutung die Selbst-Beobachtung mit regelmäßiger Bestandsaufnahme der körperlichen Symptome ist.
    Weil in der Regel ein psychosomatischer Zusammenhang besteht, ist die Unterstützung durch ein therapeutischen Gespräch natürlich von großem Nutzen.

  2. 2

    Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Placebos bei normalen Behandlungen verschrieben werden. Es macht doch nur Sinn ein Plaecebo zu verschreiben, wenn die verfügbaren Medikamente nicht den erwünschten Erfolg versprechen oder aber die Nebenwirkungen in keinem Verhältnis zur Erkrankung stehen. Die Studie ist aber wirklich interessant. Die Selbstheilungskraft des Körpers ist nicht zu unterschätzen.