Wunder der Evolution: Parasiten im Kopf

Schon seit einiger Zeit liest man immer öfter über die erstaunliche Rolle, die Parasiten für die Evolution und die Stabilität von Ökosystemen spielen. Höchste Zeit, dass sie auch in meinem Blog mal zur Sprache kommen, mit einem besonders spektakulären Beispiel aus der Süddeutschen: Dem bis zu 12 Millimetern großen „Kleinen Leberegel“, das hauptsächlich in Schafen und Rindern lebt, dessen Lebens– und Fortpflanzungszyklus aber zwei Zwischenwirte und Gehirnmanipulation einschließt:

Zunächst die Geschichte:

Der ausgewachsene Kleine Leberegel lebt meistens im Gallengang eines Schafes oder Rindes. Nur selten befällt er auch Menschen. Die Eier des Parasiten gelangen über den Kot der Tiere ins Freie. Wegen der pflanzlichen Rückstände stellen die Ausscheidungen für Schnecken „eine willkommene Nahrung dar“ (Johannes Eckert u. a.: Lehrbuch der Parasitologie für die Tiermedizin, 2005).

Im Körper der Schnecke bilden die Eier dann Leberegel-Larven. Diese wandern diese bis in die Atemhöhle der Schnecke. Dort werden sie in einen Schleimbrocken gehüllt von dem Weichtier ausgehustet. Diesem Schneckenschleim können nun offenbar Ameisen kaum wiederstehen und fressen ihn auf.

War das Szenario bis hierher schon abenteuerlich, so wird es jetzt geradezu gespenstisch: Während der Großteil des Leberegel-Nachwuchses in der Leibeshöhle der Ameise weiter heranreift, setzt sich eine Larve im Gehirn des Insekts fest — und manipuliert dessen Verhalten.

Der sogenannte Hirnwurm bewirkt bei der Ameise ein völlig untypisches Verhalten: Statt am Abend in ihr Nest zurückzukehren, klettert die Ameise an die Spitze eines Grashalms. Dort beißt sie sich fest — und wird an diesem prominenten Platz mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Schaf oder Rind verspeist. Auf diesem Wege gelangen die Larven des Kleinen Leberegels in ihren Hauptwirt, wo sie sich fertig entwickeln können. Dann beginnt der Zyklus von Neuem.

Ganz schön verrückt. Und die Vorstellung, dass sich das alles irgendwie evolutionär entwickelt haben muss, einschließlich der Aufgabenteilung der Larven und der gezielten Verhaltensmanipulation, macht mir schwindlig.

Nach der Geschichte vom kleinen Leberegel noch ein paar abstraktere Details:

Die große Durchsetzungskraft der parasitierenden Lebensformen zeigt sich aber auch an ihrer schieren Zahl: So kommen nach Schätzungen von Forschern auf jede Art von Wirtsorganismus vier Arten, die sich als Schmarotzer ihr Überleben sichern (Matthias Gräbner: Jede Menge Parasiten, Telepolis, 24.7.2008).

Wie ein internationales Forscherteam kürzlich herausfand, spielen Parasiten zudem im Ökosystem offenbar eine größere Rolle als bislang vermutet: Bei Untersuchungen an mehreren Flussmündungen bildeten die kleinen Lebensformen einen größeren Anteil an der Biomasse — also der Gesamheit der Masse an organischem Material — als zuvor angenommen.

Besonders hervor stachen demnach die Saugwürmer, zu denen auch der Kleine Leberegel gehört: Ihre Biomasse lag gleichauf mit der der Fische. (Nature 454, 515 — 518 (24.7.2008), doi: 10.1038/nature06970 / Matthias Gräbner: Jede Menge Parasiten, Telepolis, 24.7.2008).

Vier schmarotzende Arten auf jeden Wirt? Und die selbe Biomasse? Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es wäre, mit meinem Gewicht an Flöhen und ähnlichem im Bett zu liegen… Hier also doch mal ein entschiedenes „Danke schön“ an die Errungenschaften der modernen Zivilisation. Oder schneiden wir uns am Ende doch ins eigene Fleisch, wenn wir uns die Parasiten so nachdrücklich vom Leib halten?

Die Wandlungsfähigkeit von Parasiten ist so eminent, dass sie sogar als eine der entscheidenden Triebfedern für die Evolution angesehen wird. (Rachel Nowak: Life’s greatest inventions, New Scientist, 9.4.2005).

So gibt es einer evolutionsbiologischen Theorie zufolge nur deshalb zwei Geschlechter, weil Menschen und Tiere allein mit Hilfe ständiger Durchmischung und der Schaffung neuer Immunsysteme den anpassungsfähigen Parasiten — hier vor allem Viren und Bakterien — etwas entgegensetzen können.

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Datum: Samstag, 1. August 2009 20:40
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4 Kommentare

  1. 1

    if only i could understand this! haha

  2. 2

    Me too Monique

  3. 3

    Spannend! Für die Suchmaschinenoptimierung versuchen, mehrfach-tagging vermeiden. Ich weiß, geht nicht, aber im Idealfall immer nur 2 oder 3 :p

    ta-ta
    E.

  4. 4

    Danke! Ist schwer! Mal sehen was ich tun kann. *zähneknirsch* :-)