Private Weltverbesserei und der Lauf der Welt — in der ideologischen Falle

Im ValueScience-Friends Newsletter meiner ehemaligen kalifornischen „Community“ Magic findet sich immer etwas spannendes zu lesen. Diesmal hat ein Artikel mit dem Titel Forger Shorter Showers meine Neugier geweckt.

Die These des Artikels ist eine direkte Konfrontation des „Freiburger Lebenswandels“, auch des meinigen. Die Idee der glücklichen Oase. Kurze Duschen mögen hierzulande weniger revolutionär klingen als in den USA, aber die Idee die Welt besser zu machen (und möglicherweise zu retten), indem man Wasser spart, Müll vermeidet, fair oder regional und biologisch einkauft, möglichst nicht fliegt, … blüht gerade auch in unserer WG.

Der Autor sagt natürlich nicht, dass das schlechte Sachen wären. Er sagt nur, dass sie nicht die richtigen Mittel sind, um die Welt aus dem Schlamassel, das ihr (ökologisch) bevorsteht, zu retten. Seine Einleitung macht deutlich, aus welcher Perspektive er das Problem betrachtet:

WOULD ANY SANE PERSON think dumpster diving would have stopped Hitler, or that composting would have ended slavery or brought about the eight-hour workday, or that chopping wood and carrying water would have gotten people out of Tsarist prisons, or that dancing naked around a fire would have helped put in place the Voting Rights Act of 1957 or the Civil Rights Act of 1964? Then why now, with all the world at stake, do so many people retreat into these entirely personal “solutions”?

Zu Recht stellt er weiter fest, dass der Großteil der Appelle, die mit den Warnungen vor der nahenden ökologischen Katastrophe verbunden werden, an das private Verhalten, insbesondere das Konsumverhalten adressiert sind. Und ebenso zu Recht führt er aus, dass für alle relevanten Bereiche (Wasser, Energie, Abfall) der Großteil der Umweltverschmutzung nicht durch private Haushalte sondern durch Industrie und industrielle Landwirtschaft verursacht werden.

Seine Folgerung scheint naheliegend:

If we choose the “alternative” option of living more simply, thus causing less harm, but still not stopping the industrial economy from killing the planet, we may in the short term think we win because we get to feel pure, and we didn’t even have to give up all of our empathy (just enough to justify not stopping the horrors), but once again we really lose because industrial civilization is still killing the planet, which means everyone still loses.

Eine weitere Anmerkung zu dieser Konsum-Philosophie finde ich sehr spannend und nachvollziehbar:

The third problem is that it accepts capitalism’s redefinition of us from citizens to consumers. By accepting this redefinition, we reduce our potential forms of resistance to consuming and not consuming. Citizens have a much wider range of available resistance tactics, including voting, not voting, running for office, pamphleting, boycotting, organizing, lobbying, protesting, and, when a government becomes destructive of life, liberty, and the pursuit of happiness, we have the right to alter or abolish it.

Das bringt uns auch schon zu dem enttäuschenden Teil des Artikels — wenn es also nicht das kleine, private Verhalten und Konsumverhalten ist, das die Welt retten kann, was dann? Der vorangehende Absatz klingt nach guten alten politischen Methoden, mit nur einem sanften Anklang von richtig wildem politischem Umsturz. Der Ton wird im Schlussabsatz aber schärfer:

The good news is that there are other options. We can follow the examples of brave activists who lived through the difficult times I mentioned—Nazi Germany, Tsarist Russia, antebellum United States—who did far more than manifest a form of moral purity; they actively opposed the injustices that surrounded them. We can follow the example of those who remembered that the role of an activist is not to navigate systems of oppressive power with as much integrity as possible, but rather to confront and take down those systems.

Und so bleibe ich ein wenig ratlos zurück. Auf der einen Seite ist es unbestreitbar, dass unseren Protest und Änderungswillen im Konsum auszudrücken bedeutet, die im Rahmen der Regeln des „Systems“ zu bleiben. Auf der anderen Seite folge ich der Kritik nicht, dass der industrielle Teil der Umweltverschmutzung mit dem privaten Haushalt nichts zu tun hat — wenn ich weniger konsumiere fällt auch dort weniger Abfall an, wird weniger Energie und Wasser verbraucht, am Ende gibt es sogar weniger Geschäftsreisen im Flugzeug. Und mit den Alternativen bin ich ziemlich skeptisch. Die politischen Systeme die wir haben ausnutzen ist schön und gut, aber abgesehen vom Wählen muss man sich da auch fragen, ob man sich nicht zum Teil eines Systems macht, das einem nicht gut tut. Ganz zu schweigen vom gewaltsamen Widerstand, der da anklingt.

Ich glaube, in der Position des Autors kommen zwei Probleme zusammen: Kurzsichtiges Denken (die industrielle Zerstörung existiert unabhängig von unserem privaten Konsum?) und dieses:

Any option is a better option than a dead planet.

Das würde Sloterdijk „Zynismus der Mittel“ nennen. Ich hoffe, dazu bald mehr schreiben zu können. Es führt jedenfalls dazu, das moralische Urteil über die Mittel, die ich verwende, durch das angestrebte hehre Ziel ausgehebelt wird. Und Sloterdijk zeigt sehr schön, dass genau dieses Denken im Kern der Katastrophen des 20. Jahrhunderts liegt.

Autor:
Datum: Sonntag, 19. Juli 2009 2:31
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Ein Kommentar

  1. Dieter Breuninger
    Montag, 27. Juli 2009 12:10
    1

    Ich kann etwas bewirken, indem ich vernünftig mitder Wumwelt und den Resourcen umgehe.
    Weiter kann ich mich demokratisch verhalten und wählen.
    Ausserdem kann ich noch ein wenig meine Mitmenschen motivieren, dasselbe zu tun.
    Dann kann ich meine Kinder zum Studium motivieren und hoffen, daß sie auch ihren Beitrag für die gute Sache leisten…:-)
    liebe Grüße
    Papa