Woher kommt unser Geld?

Die Zeit ist ideal, um über die Weltwirtschaft, den Kapitalismus und das Wesen des Geldes nachzudenken. Da trifft es sich gut, dass mir ein vergilbter und zerfetzter Artikel aus der Zeit in die Hände fiel, der einige Zeit bei uns in der WG im „Ort der Bildung“ hing und glücklicherweise auch online frisch wie am ersten Tag zu lesen ist: Verdammt zum Wachsen (DIE ZEIT 18.11.2004 Nr.48)

Im Folgenden trage ich aus meiner Perspektive die zentralen Thesen des Artikels zusammen, den ich im Original interessant, aber etwas konfus finde, gefolgt von einigen eigenen Überlegungen dazu.

Die erste Grundthese ist, dass der Kapitalismus Wachstum braucht, um weiter zu bestehen. Das liege am Wesen des Geldes, das eigentlich Kredit sei. Kredit nimmt aber nur jemand auf, der überzeugt ist, ihn einschließlich Zinsen zurückzahlen zu können. Das heißt: erfolgreich investieren – mit anderen Worten: Wachstum erzeugen.

Drittens, jedem Geldvermögen steht eine Schuld gegenüber. Wenn ein Mensch sparen will, also Geldvermögen aufbauen, braucht er notwendigerweise einen anderen, der sich verschulden möchte. In einer geschlossenen Volkswirtschaft, in der es keinen Kontakt zum Ausland gibt, oder in der Weltwirtschaft als Ganzes ist die Differenz zwischen Geldvermögen und Schulden immer gleich null. Viertens, Geld entsteht aus Kredit, ja, es ist nichts anderes als Kredit.

Die zweite interessante These ist, dass dieses System zusammenbricht, wenn die Symmetrie zwischen den Kreditaufnehmern und Kreditgebern verloren geht. Das passiert vor allem, wenn mehr Akteure sparen wollen:

Wehe aber, wenn die Verschuldungsdynamik erlahmt, wenn niemand mehr bereit ist, neue Kredite aufzunehmen, die die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen. Dann reißen die Kreditketten. Dann gelingt es den Unternehmen als Ganzes nicht mehr, Gewinne und Zinsen zu erwirtschaften. Dann drohen Pleiten und spiegelbildlich Vermögensverluste bei denjenigen, die die Gläubigerposition der Kredite innehaben, seien es Banken oder Private. Arbeiter werden entlassen, die Nachfrage sinkt weiter, und die Rezession nimmt ihren Lauf, bis die Überkapazitäten abgebaut sind. Danach geht das Verschuldungsspiel von vorne los. Das ist der gute Ausgang. Der schlechte: Weil alle versuchen zu sparen, setzt sich die Teufelsspirale in Gang, eine Depression wie in den dreißiger Jahren ist das Resultat. Ein dauerhaft schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt erzeugt also zwingend eine Wirtschaftskrise.

Das ist auch die Rechtfertigung dafür, dass der Staat sich in einer Krise verschulden soll: Unternehmen und Privathaushalte wollen bzw. müssen aus naheliegenden Gründen sparen. Wenn es dazu keinen Gegenpart gibt, der Schulden macht, droht die Krise:

Denn sparen, und sei es auch nur der Abbau der Verschuldung, setzt immer voraus, dass sich ein anderer verschuldet. Wenn alle versuchen, weniger auszugeben, als sie einnehmen, kommt es zur Depression. Vermögen wird vernichtet durch Aktien– und Immobiliencrash sowie durch ausfallende Kredite. Am Ende hat niemand gespart, alle sind lediglich ärmer als vorher. Das ist die Crux des Kapitalismus.

Die dritte spannende These ist die Perspektive für ein nicht krisenhaftes Schrumpfen der Wirtschaft:

Es gibt in dieser volkswirtschaftlichen Saldenmechanik nur einen einzigen Weg, wie die Wirtschaft schrumpfen kann, ohne dass es zur Krise kommt. Doch diesen Weg hat der Kapitalismus weder im alten Griechenland noch in der Neuzeit je eingeschlagen. In dem Maß, in dem sich die Unternehmen entschulden wollen, müssen die Gläubiger ihr Vermögen abbauen. Sie müssen die Akkumulation rückgängig machen und ihr Vermögen irgendwie ausgeben. Nur wenn die Kapitaleigner mehr als ihre Zinsen oder Gewinne konsumieren, lösen sich Kreditketten auf. Doch die Geschichte des Kapitalismus kennt nur Akkumulation, das Anhäufen großer Vermögen durch Zins und Zinseszins. Lediglich Krieg, Enteignung oder eben Depression haben der Akkumulation Einhalt geboten.

Neben diesem harmonischen freiwilligen Entsparen gebe es auch noch einen halb gewaltsamen Weg:

Zweitens, die Notenbank provoziert Inflation. Über eine unerwartet kräftige Inflation werden die Schuldner entlastet, die Gläubiger dagegen enteignet. Die Rückzahlung und Bedienung der Kredite fällt leichter, weil zum Beispiel die erzielbaren Preise doppelt so hoch sind wie in der Vorperiode, die Kreditvolumen aber immer noch gleich hoch. Die Gefahr: Eine einmal angestoßene Inflation kann der Notenbank leicht außer Kontrolle geraten. Hyperinflation, wie sie Deutschland in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebt hat, zerstört aber mindestens genauso viel Wohlstand wie eine Depression.

Für mich stellt sich zunächst die Frage, wie wahr die These vom Geld als Kredit an sich ist. Zentraler Agent dieses Kreditgeschäftes müssten ja die Unternehmen sein, sie sind schließlich die Einzigen, die Kredite im Sinne einer Investition aufnehmen und auf Mehreinahmen hoffen, um diese Kredite zu bedienen. Ist das Geld, das ich in der Hand halte und ganz offensichtlich von niemandem geliehen habe also nur von einem Unternehmen an mich (oder meine Eltern) bezahlt worden, in der Hoffnung, damit mehr Einnahmen zu erwirtschaften? Plausibel, aber für mich noch nicht richtig entscheidbar, ich bin für Anregungen dankbar.

Sollte diese These stimmen, fragt man sich natürlich, ob anderen Formen der Geldwirtschaft möglich wären. Das führt als ersten Schritt wohl zur Beschäftigung mit Regiogeldern und Co., von deren Nutzen ich bis jetzt aber auch noch nicht recht überzeugt bin. Rein intuitiv scheint mir ein Geld, das „einfach da“ ist, also nicht Kredit, reines Tauschmittel, zumindest denkbar.

Darüber hinaus verdient natürlich der Aspekt der Akkumulation genauere Betrachtung. Inwiefern ist mit diesem „Geld als Kredit“ eine Dynamik der Ungleichheit verbunden? Es erscheint einleuchtend, dass durch den Zins das Geld eine Art natürlichen Sog hat, sich quasi von selbst immer weiter verdichtet. Hierzu sei nochmal eine interessante Beobachtung aus dem Artikel zitiert, zur Krise 2004 im Gegensatz zum Boom 2000 in Deutschland:

Das Paradoxe an der Situation: Eigentlich müsste es Deutschland deutlich besser gehen als vor vier Jahren. Denn das Bruttoinlandsprodukt ist inflationsbereinigt um rund 30 Milliarden Euro höher als im »Boomjahr« 2000. […]

Dies ist auch die Antwort auf das Rätsel, wo die 30 Milliarden Euro geblieben sind, die das BIP der Bundesrepublik heute mehr ausweist als im Boomjahr 2000. Sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit den Kapitaleignern zugeflossen in Form von Zinsen und Gewinnen.

Und auch hier stellt sich die Frage nach möglichen Abhilfen. In jedem Fall scheint ein wie auch immer gearteter Sozialstaat nötig zu sein, eine Art Umverteilung. Wenn man das somit praktisch aus dem Wesen von Geld und Kapitalismus ableiten könnte wäre das schon ein interessanter Punkt.

Bleibt natürlich die Frage, welche konkreten politischen Maßnahmen die geeigneten sind. Eine progressive Besteuerung? Bildungspolitik? Sozialhilfe und Arbeitslosengeld? Gewerkschaften?

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Datum: Dienstag, 7. April 2009 21:19
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